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A`dam ganz breit

Der Morgen davor

 

Es war ein Freitag, um genau zu sein, war es der 29.12.1995 als mich ein Klingeln aus meinem Schlaf reißt. Mit geschlossenen Augen tastete ich mich durch meine Wohnung und erreichte endlich, nachdem ich mir meinen rechten kleinen Zeh am Türrahmen gestoßen hatte, das Telefon im Flur. Das Klingeln war erbarmungslos. Um dem ein Ende zu setzen, ergriff ich den Hörer und setzte mich gleichzeitig auf meinen Telefonhocker. Es war Maria.

Meine Augen lunschten vorsichtig auf meinen Wecker – 10.00 Uhr. Na ja, egal, ich wollte eh in zwei Stunden aufstehen. „Na, was gibt`s denn“, wollt ich von ihr wissen.

„Ich wollte mich noch unbedingt von dir verabschieden. Und dir erzählen, das ich von dir geträumt hab`!“ was mich nicht verwundert hat. Gewissen Frauen fällt es schwer nicht von mir zu träumen.

„Es war ein schöner Traum, aber ich kann mich nicht mehr erinnern, um was es ging, ich weiß nur, dass er schön war. Meine Mutter kam ins Zimmer und hat mich aus ihm gerissen und mit einem Schlag war alles weg“, klang ihre Stimme fröhlich durch die Leitung.

Noch halb schlafend registrierte ich ihren Bericht: „Aha.“

Und dann nach einer kleinen Pause fing sie dann an: „Und bring mir ja den Tiger wieder mit zurück, nicht dass der da bleibt.“

„Wäre das so schlimm? Du hast doch von mir geträumt!?!“

„Na und!?!“

„Es wäre ein Grund öfter nach A`dam zu fahren, um ihn zu besuchen.“

„Ja, klingt gut, aber trotzdem, bring ihn wieder mit zurück. Ja!?!“

Das ging dann noch so eine Weile und nach dem Telefonat machte ich mich auf den Weg in die Küche, um in der Mikrowelle die Reste des Abendbrotes vom Vortag zu bestrahlen. Mit der dampfenden Masse auf dem Teller ging ich in`s Wohnzimmer, machte die Glotze an und stocherte genüsslich in meinem Frühstück herum.

Da ich wie immer kein Bock auf den Abwasch hatte, sortierte ich das dreckige Geschirr fein sorgfältig auf den Küchentisch, Ordnung muss sein. So ging ich in`s Bad, um mich meiner fast allmorgendlichen Toilette zu widmen. Im Spiegel sah ich mein markantes und einmaliges Gesicht, nur mein Spitzbart war ein Tick zu lang. Also ging ich in die Küche, um meinen Rasierer zu holen. Obwohl ich gar keine Lust hatte mir jetzt noch meine Haare zu schneiden. Darum beließ ich es bei der Beschneidung meines Bartes. Als ich fast fertig war, setzte ich den Apparat, nur für einen kurzen Augenblick, falsch an und haute eine tiefe Schneise in meine männliche Prachtbehaarung. `Scheiße! Also gut, kürze ich eben den ganzen Bart.´

Daraufhin öffnete ich den Spiegelschrank, der über meinem Klo hängt, und nahm die Zahnseide. Die Zahnseide ist ein unverzichtbares Utensil, wenn man wie ich ein architektonischen Fehlschlag in Form eines Zahnchaoses, welches sich in meinem Unterkiefer befindet, reinigen will. Unter künstlerischen Gesichtsverrenkungen versuchte ich mein Bestes. Mit Erfolg, wie ich stolz behaupten darf, ansonsten würde ich es ja auch nicht tun. Und als ich die gleichmäßigen Bewegungen meiner elektrischen Zahnbürste (ein Weihnachtsgeschenk, aus dem vergangenem Jahr, meiner Mama) auf meinem Zahnfleisch spürte, war die Welt wieder in Ordnung. Nur zum Aufwärmen, kurz vorn, dann mit der linken oberen Backenseite beginnend, nach rechts außen fließend wechselnd, um dann nach rechts unten überzugehen und wieder nach links. Und die gleiche Prozedur auf der Innenseite. Als letztes folgte die wohl gründlichste Reinigung, der unteren und oberen Schneidezähne von außen und innen. Es kommt selten vor, dass die Reih´nfolge variiert, aber es kommt vor.

Heute hatte ich das Babyduschbad auserkoren meinen Körper in Wohlgerüche zu hüllen. Was ich sehr originell finde, weil es sehr geborgenheitsbedürftig riecht und einen Hauch von Unschuld verleiht. Ich konnt` mich nur nicht so recht zwischen den Wassertemperaturen entscheiden. Also wechselte ich ständig die Temperatur. Ich liebe es, wenn die mollig warmen Tropfen gefühlvoll auf mein Gesicht treffen und wie eine erotische Gesichtsmassage ein Wohlgefühl in meinem Körper auslöst.

 

Die Fahrt nach Berlin

 

Suse und Filzer holten mich zu Haus ab. Und so gingen wir gemeinsam zum Bahnhof. Es war bitterkalt und wir vertrieben uns die Zeit auf dem Bahnhof in dem wir jeder eine Zigarette rauchten. Der Zug kam pünktlich, was ja selten genug vorkommt.

Nach dem wir zu dritt den halben Zug durchquert hatten, nahmen wir in einem fast leeren Abteil Platz. Nur eine ältere Dame, die ein sympathisches Äußeres besaß, und ein Pärchen, welches die Midlifecrisis weit hinter sich gelassen zu haben schien. Der Mann war sichtlich enttäuscht über der Tatsache, das Abteil mit drei Menschen, die sich in ihren Gesprächen an keine gesellschaftlichen Regeln und Lautstärkenormen zu halten schienen, teilen zu müssen. Er war mir auch gleich unsympathisch.

Nach Außen hin waren unsere Gespräche enorm intellektuell. Versuchte man aber einen tiefgründigen Sinn herauszufinden, war dies ein Fass ohne Boden. Klartext, wir redeten den größten Scheiß. Wobei dies nun auch wieder nicht so stimmt. Da wir uns auch über ernste Probleme des Lebens unterhielten.

„Kennt ihr die beiden Blondinen? Die immer zusammen mit dem Fahrrad oder zu Fuß durch die Stadt wandeln. Die eine hat langes gelocktes Haar und die andere langes glattes Haar und einen riesengroßen Zinken“, versuchte ich endlich einmal auf ein wirklich ernstes Gebiet umzulenken.

Suse Schaute mich grinsend an. „Meinst du die, die man nur zusammen und nie allein antrifft?“

Ich nickte heftig.

„Dann kenn ich sie, jedenfalls vom Sehen.“

„Und von der, mit der riesengroßen Nase, hab´ ich geträumt. Ich geh so, mir nichts, dir nichts über`n Roten Platz. Da kommt doch dieses Mädchen auf mich zu. Unsere Blicke treffen sich und konnten gar nicht mehr von einander lassen. Und sie kommt immer nähr. Und, und ich merke nur, dass ich immer nervöser werde. Sie läuft und schiebt dabei ihr Fahrrad neben sich her. Auf einmal bleibt sie vor mir steh´n und sagt: >Hi, ich bin Nicole.< Ich merk´ wie mir leichte Röte in mein Gesicht schießt. Es war mir in keinem Fall peinlich. Ich war nur etwas überrascht. Ich frag sie dann: >Warum hast du das getan?< Und sie antwortet daraufhin ohne zu zögern: >Sonst hätten wir uns nie kennen gelernt.< Darauf wieder ich: >Ist das so wichtig?< Und sie: >Aber ja!< Und schaut mich mit ihren blauen Augen an. Na ja, und ab da hab´ ich den Traum vergessen. Vielleicht hab´ ich ja ab da auch etwas ganz anderes geträumt.“

Suse und Filzer glotzen mich fragend an und grinsen auf einmal gleichzeitig los.

„Was ich euch damit sagen wollte, ich kenne dieses Mädchen nicht und auch nicht ihren Namen. Versteht ihr? Also werd ich versuchen, was nicht all zu schwer sein dürfte, ihren richtigen Namen herauszufinden.“

„Und dann?“ fragt mich Suse, wobei sie kurz vor einem Lachanfall zu stehen schien.

„Ich weiß auch nicht, aber wenn der Name stimmen sollte, dann, dann werde ich weiter sehn“, (später bekam ich raus, dass er nicht stimmte).

 

Bei Küken

 

Als wir in Berlin die U-Bahn verlassen, um zu Küken zu gelangen, empfing uns auf der Straße ein eisiger Wind. Er beisst in den Augen und in den Nasen, so dass wir wie drei Schlitzaugen aussehen. Die minus acht Grad waren wirklich nicht zu überspüren. Doch trotz allem, ließen wir uns, Suse und ich, nicht von Filzer`s Berliner Hektik-Geschwindigkeit mitreißen. Sie ist einfach zu quickie, um überhaupt irgendetwas, was um einen herum passiert, wahr zu nehmen. Und als wir Küken`s Haus erreicht hatten und vor dem alten kalten überdimensionalen Treppenflur standen, durchschoss es mich wie ein Blitz: ´Fünfter Stock!`

Es ist der wohl anstrengendste Weg, um in eine der gemütlichsten Wohnungen, die ich kenne, zu gelangen. Als erster los gegangen, hatten mich Filzer und Suse schon nach der ersten Etage ein- und dann überholt.

Ihr Vorsprung wuchs Etage für Etage. Sie erreichten Küken`s Wohnung als ich gerade im Begriff war, die vierte Etage zu bezwingen. Wie immer benötigte ich über fünf Minuten intensivster Ruhe, um nach dieser, für mich sehr ungewohnten, körperlichen Überanstrengung wieder genug Atem für ein paar Worte zu haben (seit dem mir die passende Partnerin für die, für mich so bedeutenden, sexuellen Betätigungen fehlt, ist mir jegliche körperliche Leistung mehr als nur fremd).

Wir saßen zusammen am Kaffeetisch und tranken genüsslich unseren Tee. Also war dieser Kaffeetisch doch eher ein Teetisch.

Ich durfte mich der hochverantwortungsvollen Aufgabe, dem Herstellen der Mischung, widmen. Pippi, Küken`s Freundin, setzte neues Wasser für Tee an und der Bong machte eine Runde nach der anderen. Ein geselliges Grüppchen und ein angenehmer Duft befanden sich in einer warmen Küche. ´Was willst du mehr!`

Die Zeit verging und kaum als wir uns versahen, oder besser verhörten, läutete es an der Tür. Und herein kamen Blümchen und Tiger. Und Blümchen hatte wieder mal einen von ihren leckeren Kuchen gebacken. Aber leider, zu meinem Bedauern, waren in diesem Wunderwerk der Backkunst - denn sie war berühmt für ihre verschiedensten und spirituellen kreativen Backwunder - Nüsse. Und ich unglücklicher habe eine verfluchte Haselnussallergie. Da stand er nun, dieser nicht zu flach geratene, kastenförmige Kuchen a`la Blümchen. Mit einer dicken Schicht Nugat überzogen und gekrönt mit köstlichen Krokantsplittern. Und ich darf nicht essen und muss zuschauen. Welche ein Schicksalsschlag, in dieser Verfassung, in der ich mich seit unserer Ankunft immer intensiver hinein versetzt hatte. So setzte ich mich eben noch intensiver mit dem Bong auseinander. Auch Küken`s Augen hatten nun schon diesen typischen Schmalzdackelblick angenommen und strahlten Frieden und Geborgenheit in der ganzen Küche aus.

Ein erneutes aufkreischen der Türklingel ließ uns alle zusammen fahren. Sämtliche Blicke waren neugierig in Richtung Flur gerichtet, um den Neuankömmling genau zu analysieren. Die Küche wurde von einem 08/15 Typ betreten, der nicht hübsch und nicht hässlich, nicht groß und nicht klein, nicht dick aber auch nicht dünn war. Und mit einem seichten Unterton, als hätte er eine schwere Erkältung und müsse nun sein lebelang nasal sprechen, meinte er: „Hi, ich bin der Michi.“

Auf einmal war es mucksmäuschenstill in der Küche. Kein Ton, kein Laut, und er stand hilflos in der Küche, von allen Anwesenden fragend angestarrt. Er wusste nicht, was er tun sollte und stellt sein knallbunten Kinder-Ghettoblaster mit angeschlossenem Highspeed-Farbmikro auf den Kühlschrank und verließ mit gebrochenem Selbstvertrauen die Küche. Er war noch nicht ganz in Bulettes Zimmer verschwunden, brachen alle auf einmal los, keiner konnte mehr an sich halten und jeder erlag nach fünf minütigem Lachanfall einem Bauchmuskelkrampf.

 

Die Fahrt zum Busbahnhof

 

Mit der U-Bahn, die fast leer war, als wir einstiegen, ging es dann los in Richtung Busbahnhof. Unter uns brach eine entsetzliche Stille aus. Diese Stille brach ich, in dem ich einen Laberflash bekam. Ich versuchte, beim Vorbeifahren, die vielen Plakate, die in den ganzen Stationen hingen, zu lesen. Was mir jedoch nur dann gelang, wenn wir hielten. Und selbst dann fiel es mir sehr schwer, die Bedeutung oder den Inhalt der Plakate zu ergründen. Was durchaus mit meinem angeregten Zustand zusammenhängen konnte. Ich las, deutete und laberte.

„Habt ihr schon versucht beim Fahren diese vielen bunten Plakate zu lesen? Ich schon. Aber glaubt mir, das ist gar nicht so einfach. Aber noch schwieriger ist es, sie zu verstehen. Doch das ist ja gar nicht so wichtig, weil sie eh alle nur scheiße beinhalten. Wie all die ganzen Zeitungen. Alles Müll. Oder was meinst du?“ wandte ich mich zu Küken, der mich grinsend durch seine Augenritzen anschaut.

„Warum da überall der Grüne Punkt drauf ist? Wozu war der noch mal? Spielt ja auch keine Rolle. Wisst ihr, wie wir hier sitzen? Wie Hühner auf der Leiter.“

Jeder von uns schaute peinlich genervt und amüsiert zugleich in der Gegend herum, als wolle jeder den übrigen Fahrgästen zu verstehen geben, der gehört nicht zu uns, oder besser, ich kenne dieses Subjekt überhaupt nicht. Und jedes Mal als neue Fahrgäste einstiegen, glotzten diese dermaßen verstört, dass man hätte denken können, sie seien gerade vom Papst persönlich abgeknutscht worden.

„Also ich bin gut drauf. Mir kommt es zwar vor, als wären wir schon Stunden unterwegs, aber mir gefällt`s. Von mir aus kann die Fahrt noch eine ganze Weile dauern. Ach bin ich aufgeregt. Seid ihr auch so gut drauf?“

Keine Antwort, nur entnervte Blicke.

„Wenn ich mir überlege, dass ich heute Vormittag erst entlassen wurde, und nun darf ich mit euch in den Urlaub fahren. Mein Arzt ist doch ein netter Kerl. Die anderen von meiner Station waren alle ganz neidisch auf mich. Hab ich euch eigentlich schon die Geschichte von der ...“, da fiel mir Tiger in`s Wort: „Jagger, Schnauze!“

Ich schaute ihn grinsend an und Pippi fing plötzlich laut zu lachen an. Und der Rest von uns ließ sich von ihr anstecken, doch damit war auch schon mein Anfall vorbei, zur Erleichterung der anderen. So kamen wir am Busbahnhof an.

Wir machten uns auf die Suche nach unserer Abfahrtsstelle. Was sich als gar nicht so leicht herausstellte, denn wir waren alle noch ziemlich verpeilt. Es muss wohl ein sehr lustiges Bild gewesen sein, wie wir im Gänsemarsch eine Abfahrtsstelle nach der anderen ansteuerten und immer wieder feststellen mussten, dass es nicht die richtige war.

So zogen wir in die Wartehalle ein. Die Halle war voll mit wartenden Menschen, unter anderem auch mit einigen Mädchengruppen, zur Freude des männlichen Geschlechts. Wie auf Befehl, rollten wir Kerle uns ganz locker eine Zigarette und rauchten diese mindestens genau so locker. Filzer, Tiger, Küken und Suse zogen dann los um sich Fahrtlektüre zu besorgen. Nach einer viertel Stunde kamen sie mit langen Gesichtern und ohne Zeitschriften zurück. Küken hatte endlich unseren Bus nebst Abfahrtsstelle ausfindig gemacht.

„Unser Bus steht schon bereit, wir können schon hin.“

„Na endlich“, meinte daraufhin Filzer. Hoffnungsvoll blickte er noch einmal in der Halle herum, ob nicht eine der Mädchengruppen auch in Aufbruchsstimmung geraten würde. Doch vergebens. Wir gingen Küken nach und kamen zu unserem Bus.

„Sieht doch ganz komfortabel aus“, sagte Blümchen zu den anderen beiden Mädels. Vor dem Bus versammelten sich die Reisenden, ein gemischtes Häufchen verschiedenster Nationalitäten. Jeder gab sein Gepäck ab, das unter dem Gästeraum verstaut wurde, und durfte auch drei Mark pro Stück spenden. Bevor man in den Bus gelassen wurde, musste man sein Ticket vorzeigen und der Steward kontrollierte die Namen auf der Passagierliste. Keiner von uns hatte zuvor schon eine solche Tour mitgemacht, somit wusste auch keiner, was uns erwarten würde.

 

Die harte Fahrt

 

Wie wir den Bus betreten, müssen wir feststellen, dass die Rückbank schon besetzt ist. Unser Glück dabei ist, dass wir nicht als letzte den Bus betreten. So bekommen wir auf der Fahrerseite vier zusammenhängende Bänke, gegenüber vom Klo. Da wir zu siebend sind, muss Filzer allein sitzen. Vor ihm sitzen Pippi und Küken und hinter ihm Suse und ich. Tiger und Blümchen haben die Bank vor Küken abbekommen. Als alle Reisende an Bord sind, macht sich nach fünf Minuten ein Duftgemisch aus Urin, Knoblauch und kaltem Schweiß breit. Man kann nicht sagen, wer von uns das meiste Pech in der Wahl des Platzes hat. Denn vor Blümchen und Tiger sitzt ein etwas älteres Dönerbudenehepaar, hinter Suse und mir zwei Slovenienmädchen und neben uns zwei Knoblauchbuletten Tanten, von denen ein mir wohlbekannter, aber sehr unbeliebter Geruch herüber schwebt und mich an die Wohnung meiner verachteten Großmutter erinnert. Ich machte es mir, soweit es die unbequemen Sitze zuließen, gemütlich. Wir stehen nun schon eine ganze Weile und fahren immer noch nicht los, was ganz schön nervt.

Da meldete sich eine Stimme: „Ich bin der Jürgen, ihr Steward“, der Tonfall kommt mir etwas komisch vor und denke sofort: `Ach schwul, das kann ja lustig werden´, da ich weiß, wie albern Tiger, Filzer und Küken darauf reagieren.

„Wir fahren in wenigen Sekunden ab“, da bewegt sich auch schon der Bus, „und unser erstes Ziel wird Hannover sein, wo wir noch weitere Passagiere aufnehmen werden. Von dort geht es dann weiter nach Brüssel, wo die Gäste, die nach London wollen, umsteigen müssen, mit den übrigen geht es dann weiter nach Amsterdam. Wir halten für sie kalte und warme Speisen und Getränke bereit, die sie bei mir bestellen können.“

`Au fein´, denk ich, `ist ja wie im Flugzeug, Essen und Trinken umsonst.´

„Die Angebotskarten nebst Preisliste befinden sich an den Rückseiten des Sitzes vor ihnen, sie können in D-Mark, Pfund oder Holländischen Gulden bezahlen.“

`Scheiße!´

Suse ist sichtlich genervt von dem Gequatsche, der beiden Mädels hinter uns. Sie scheinen weder Luft zu holen, noch nach zu denken. In solch einer Geschwindigkeit wie die reden, könnten die echt in einer Stunde Marx`s Kapital erzählt haben. Filzer, der die gesamte Fläche seiner Bank ausnutzt, schläft. Die vier vor ihm halten ein gemütliches Pläuschchen. Von weiter hinten erreicht mich ein Tuscheln und Flüstern. Neugierig dreh` ich mich um und entdecke schräg hinter mir ein Pärchen, das sich drückt, küsst und gegenseitig lustige Dinge (vielleicht sind es sogar intime) ins Ohr flüstert. Suse hat sich den Walkman aufgesetzt und ihre Augen geschlossen, so beschließe ich zu lesen. Nach einer gewissen Weile, beginnt Suse sich mit ihrer Jacke zu zudecken. Anscheinend reicht die Jacke aber nicht aus, denn sie fängt an zu zittern. Mir hingegen schmerzt mein Arsch und ich weiß nicht mehr, wie ich sitzen soll.

Zu diesem Zeitpunkt waren wir erst eine Stunde unterwegs und Filzer schläft fest.

Der ganze Bus ist noch von Unterhaltungen beschallt, so dass ich mir vorkomme, durch die verschiedensten Sprachen, als befinde ich mich auf einem orientalischen Basar. Unterstützt wird mein Eindruck, wenn ich die Augen schließe, durch den unangenehmen Gestank, der sich nicht verdünnisieren will. Er löst bei mir langsam Würgereize, Übelkeit und Kopfschmerzen aus.

Kurz vor Mitternacht haben wir Hannover erreicht. Wir verlassen den Bus, um draußen zu rauchen. Auch Filzer erwacht und kommt mit raus. Ein alter holländischer Seebär umzingelt Küken, stellt ihn in einer Ecke und nagelt ihm ein hammerhartes Gespräch an die Stirn. Wir übrigen, anstatt Küken zu Hilfe zu eilen, verteilen uns in Lichtgeschwindigkeit in alle nur denkbaren Richtungen auf dem nicht gerade großen Bahnhof. Küken befindet sich nach fünf Minuten immer noch in den Klauen des Kontaktsuchenden. Und immer noch keine Hilfe in Sicht.

Doch unser Küken ist eine Kämpfernatur. Durch gekonnte Antäuschungen und Meidbewegungen befreit er sich selbst aus seiner misslichen Lage. Wir übrigen hatten uns schon längst wieder, wie ein Transformer, an einer anderen Stelle formiert und werteten die hilflose Lage Küken`s lachend aus. Wie ein verstörtes Entenküken, dass gerade aus der Wäscheschleuder fällt, steuert Küken hilfesuchend unsere Gruppe an, wo er mit größter Fürsorge wieder aufgenommen wird. Zurück im Bus will sich einer zu Filzer gesellen, doch er bleibt ganz cool, verzieht keine Miene, und sein vielleicht Nachbar verzieht sich in Richtung hintere Bänke. Mit siegreichem zufriedenem Gesicht legt sich Filzer hin und schläft wieder ein.

Der Gestank hat sich für immer und ewig im Bus niedergelassen. Nach einer Stunde ist endlich Ruhe im Bus. Ich lese, Filzer schläft, wie die anderen auch, nur Suse versucht immer noch vergebens einzuschlafen, doch es ist ihr einfach zu kalt. Der Gestank löst bei mir einen tranceartigen Zustand aus, der sich als Müdigkeit bemerkbar macht. Suse friert noch immer. So versuche ich, mich als natürliche Zudecke bei ihr nützlich zu machen und einzuschlafen. Trotz zunehmender Krämpfe in sämtlichen Körperteilen, durch mehr als nur ungewöhnliche Verrenkungen, bleibe ich Suse als Zudecke erhalten. Als jedoch die Schmerzen immer unerträglicher werden, zwingen sie mich widerwillig aufzugeben.

Die folgenden Stunden verbringe ich, weil ich nicht schlafen kann, mit aus dem Fenster sehen, Buch lesen, ständigen Stellungswechseln, vergebliche Versuche einzuschlafen. In kurzen unrhythmischen Intervallen lösen sich die Prozeduren voneinander ab. Filzer schläft vor mir tief und fest.

Wir fahren, nach dem wir die Deutsche Grenze hinter uns gelassen haben, auf der Belgischen Autobahn, die von unzähligen Laternen beleuchtet wird. Es ist um diese Zeit - es ist früher Morgen - kaum ein Auto unterwegs. Selbst als wir Brüssel erreichen, scheint die Stadt noch im tiefem Koma zu liegen. Wir verlassen den Bus, um wieder mal zu rauchen. Doch keinem will die Zigarette so richtig schmecken und jeder friert vor Müdigkeit.

Die Leute, die nach London wollen, steigen um. Auf einmal sehen wir den Seebären ein neues Opfer suchen. Wie durch eine unsichtbare Zauberkraft bilden wir automatisch einen undurchdringlichen Verteidigungswall und Küken in unserer Mitte.

„Wenn der jetzt herkommt, dann schrei´ ich.“

Daraufhin meint Tiger: „Du musst dich doch mal in seine Lage versetzen. Bist dein halbes Leben auf `nem Schiff, hast ständig die selben Leute um dich rum. Ist doch klar, dass du dann Kontakt zu anderen Menschen suchst.“

„Aber warum gerade mich, es gibt hier so viele.“

„Und solche lock`ren Kunden wie wir. Ich versteh´ ihn. Vielleicht hat er auch ein Auge auf dich geworfen.“

Pippi schaut ganz entgeistert.

„Das ist mein Küken, den gebe ich weder her, noch teile ich ihn mit irgend so`n alten Sack!“ und wirft sich ihm an den Hals und gibt ihm einen dicken Schmatz auf die Wange.

„Nich - mein Schatz!?!“

„Genau“, gibt ihr Küken mit Nachdruck recht.

In der Zwischenzeit hat der Bär ein anderes Opfer schon in die Mangel genommen, somit ging diese Schlacht an uns.

„Der Gestank ist echt widerlich, die Leute vor uns dampfen förmlich Knoblauchschwaden aus. Ich hab´ schon richtige Kopfschmerzen. Man sollte die Leute in Plastiktüten hüllen, oder vor Antritt der Reise einer Ganzkörperreinigung, innerlich und äußerlich, unterziehen“, wendet sich Blümchen an Suse.

„Der Gestank ist ja nicht mal das Schlimmste. Nach ´ner Weile nehm` ich ihn gar nicht mehr wahr. Doch die Olle hinter mir drückt ständig mit ihren Beinen gegen meine Rückenlehne. Jedes mal, wenn ich es fast geschafft hatte eingeschlafen zu sein, rüttelte sie mich wach und die Kälte ist das Letzte. Es kann ja nur noch besser werden.“

Wir gehen zurück zu unseren Plätzen. Filzer legt sich hin und schläft weiter.

Ich geh auf`s Klo, um ein Ei zu legen. Doch als ich die beschmaderte Brille erblicke, denk ich: `Ach komm, bis nach A`dam hältst du es auch noch aus!´, und verlasse das Klo postwendend.

Durch die Autobahnbeleuchtung hab ich die verrücktesten Optiken, und dies nur durch den Gestank und meiner Müdigkeit verursacht. Wir lehnen uns mit Suse aneinander, um uns zu wärmen. Wobei ich die wärmende Rolle hab´, denn sie zittert immer noch, doch sie scheint zu schlafen. Vor uns höre ich ein tiefes und gleichmäßiges Atmen. Filzer schläft wie ein Baby.

Mein Blick wandert im Bus umher und erspäht vor uns Blümchen, die sich aufgerappelt hat und sich nach hinten über ihre Lehne beugt, um zu schauen, wer noch so von uns wach ist. Ihre verschlafenen Augen lunschen aus ihrem noch zerknittertem Gesicht. Tiger hatte sich in Brüssel auf die, hinter uns frei gewordene, Bank gelegt und genießt nun die Landschaft im Dämmerzustand.

Pünktlich zur Einfahrt nach A`dam wacht auch Filzer auf.

„Ist das schon Amsterdam?“ und streckt sich.

„Ach bin ich müde.“

Ein zufriedenes Grinsen in voller Breite auf seinem Gesicht.

Wir übrigen schau`n uns belustigt, aufgrund der Tatsache, dass er der einzige war, der bis auf die Raucherpausen, die gesamte Fahrt durchgeschlafen hatte, an.

Tiger zeigt aufgeregt aus dem Fenster.

„Da ein Coffee Shop.“

Filzer dreht sich um und sagt:

„Jagger, merk dir den Weg!“

Tiger lacht ihn aus.

„Denkst du, dass es hier nur den einen gibt!?!“

„Nein, aber er war offen! Und wer weiß, ob die anderen um diese Zeit schon offen sind.“

„Ja, er ist ein helles Köpfchen unser Filzer. Traut man ihm gar nicht zu, wenn man ihn so sieht.“, wendet sich Küken an Tiger, aber auch an den Rest.

„Ihr wollt doch nicht als erstes in den Laden?!?!“, fragt Pippi an die Kerle gewannt.

„Nein, zuerst müssen wir irgendwo Geld tauschen. Dann geh`n wir in den Laden!“, beantwortet Küken, mit einem Feixen, ihre Frage.

„Was glaubst du, warum wir hier sind!?!“, erklärt Tiger, und nennt das Kind beim Namen.

Dafür bekommt er von Blümchen einen vorwurfsvollen Blick.

„Na das kann ja heiter werden.“

„Das will ich hoffen!“, werf ´ ich kurz ein und versuche die Lage zu entschärfen.

Müde, träge, frierend verlassen wir den Bus.

 

Willkommen im Paradies

 

Ich schau auf meine Uhr, kurz vor acht. Tiger stellt besorgt die Frage: „Wo können wir um diese Zeit nur Geld tauschen? Die Banken dürften alle noch nicht geöffnet haben.“

Ich merke wie sämtliche Blicke auf mir ruhen.

„Wer tauscht noch, außer Banken? Hotels!“ und mein suchendes Auge bewegt sich langsam, die Umgebung abforschend.

„Hotels, Hotels, Hotels? - Hotel! Change! Dort!“ und zeige zufrieden über die Straße. Wir schnappen unsere Sachen und stürmen rüber.

Einer nach dem anderen gehen wir in die Wechselstube des Hotels. Jeder tauscht so viel, wie er glaubt zu benötigen.

Wieder auf der Straße fragen mich Küken und Tiger gleichzeitig:

„Wo war der Coffee Shop? Der war doch nicht weit? Oder!?!“

„Ja da drüben“ und weise in eine Richtung, wo man ihn aber nicht sehen kann.

„Warum stehen wir dann noch hier rum?“

Tiger`s Vorfreude kann man förmlich spüren.

Mit unserem Gepäck unterm Arm peilen wir unser auserwähltes Ziel an. Als wir davor stehen, kann man den Kerlen die Glückseligkeit ansehen. Über der Tür leuchtet in hellen Jamaikafarben das Reklameschild, Coffee Shop.

„Ja!“, fährt es Tiger kurz und trocken aus dem Mund und Filzer grinst laut wie Garfield.

„Hinein!“ und Küken greift die Klinke.

Der Laden ist gebrochen voll. Zur Rechten befindet sich die Theke. Unter einer Glasvitrine liegen die verschiedensten Shitsorten in kleinen Tütchen verpackt. Wie benommen stehen Filzer und Küken davor.

„Kneif mich! Ich glaub´ ich träume. - Aua!“

„Ich glaub´ das nicht. Kuck dir das an!“

„Was glaubst du, was ich hier mache?!“

„Ganz locker bleiben! Sonst weiß jeder gleich, wo wir herkommen.“

Wir steh´n vereinzelt rum, auf der Suche nach einem Tisch, oder wenigstens nach einer geeigneten Sitzgelegenheit. Blümchen kommt aus einem benachbarten Raum und winkt uns zu sich heran.

„Wir haben einen Tisch aufgetrieben, Pippi ist schon dort.“

Am besagtem Tisch angelangt, verstauen wir unser Gepäck in unserer Ecke. Eine nette Frau kommt vorbei und fragt uns, was wir trinken wollen. Nach wenigen Minuten ist sie mit unseren Getränken wieder zurück. Wir vier Jungs können es nicht mehr aushalten und gehen wieder vor, wo die Befriedigung unseres Verlangens darauf wartet, dass wir es holen kommen. Wie in einem Comic, kann man in unseren Augen ganz eindeutig das Wort >DOPE!!< lesen.

Der Typ hinter der Vitrine fragt uns grinsend:

„Und, wisst ihr schon, was ihr wollt?“

Tiger antwortet ihm glücklich:

„Ja, wir wissen, was wir wollen! Deswegen sind wir ja hier. Wir können uns nur noch nicht so recht entscheiden, was wir als erstes wollen.“

Filzer lässt wie immer seinen pressenden Laut beim Grinsen ab und Küken`s Gesicht bekommt eine lebhafte Farbe. Da fängt der Typ an, uns mit den verschiedensten Shitsorten und ihren Preisen bekannt zu machen. Nach zehn Minuten ist der Kauf beendet und jeder ist glücklicher, als der andere.

Zurück am Tisch wird jede Sorte auf Herz und Nieren geprüft. Begrapscht, beschnuppert und beknabbert. Die Klebfestigkeit, die Masse und das Aroma verglichen. Nebenbei rollen Küken und ich die ersten Tüten an, die von der dritten und vierten gefolgt werden und das glückselige Schielen hält in jedes Gesicht der Konsumenten Einzug. Nur unsere Begleiterinnen vertreten die Meinung, dass es noch etwas zu früh dafür wäre.

„Ich würd` eher sagen, dass es gerade rechtzeitig dafür ist. Fast zu spät.“ und erhalte zustimmende Rückendeckung von meinen Leidensgenossen.

Filzer, der ausgeruhteste von uns allen, ist natürlich (wie immer) als erster im Sack. Wir übrigen werten voller Abscheu die widerliche Busfolter aus. Suse, die eindeutig am stärksten von uns betroffen war, steigert sich immer mehr in ihre hasserfüllte Auswertung.

In einer Ecke hängt eine Glotze, in der MTV abgedudelt wird, und nervt. Doch die Tatsache, dass wir jetzt noch zu unser´ Jugendherberge finden müssen, ist wesentlich schlimmer. Gegen neun brechen wir auf.

 

Die wundersame Fahrt in der Straßenbahn

 

Wir gehen über die Straße zum Bahnhofsvorplatz, von wo aus die Straßenbahnen abfahren.

„Mit welcher müssen wir denn ...“

Tiger überlegt einige Sekunden und vervollständigt seine Frage an mich gewanndt:

„... fahren?"

„Moment. Mal sehen“ und ich suche meinen Brief von der Jugendherberge raus.

„Mit der Drei oder Fünf.“

Die übrigen, die um uns herum stehen, schauen sich um.

Küken entdeckt die Abfahrtsstelle und zeigt glücklich zu einer hinüber.

Da wirft Blümchen ein:

„Von dort fahren die aber auch.“

Wir schauen uns gegenseitig fragend an. Da kommt mir die blendende Idee:

„Lasst uns erst mal Tickets auftreiben.“

Nirgends ist ein Automat zu sehen. Und wieder werde ich von einer hellen Eingebung getroffen:

„Im Bahnhof müssten Automaten sein, oder zumindest ein Schalter, wo wir die Dinger kaufen können.“

So rammeln wir zusammen in die Bahnhofshalle. Suchende Blicke, und schon haben wir so`n Automaten entdeckt.

An diesem angelangt, wird er von uns erst umzingelt und dann mit fragenden Gesichtern untersucht.

„Das steht ja alles auf holländisch da“, stellt Filzer freudestrahlend fest.

Worauf Küken ihn lachend antwortet:

„Ach, kucke mal an, wir sind ja auch in Holland.“

„Das hilft uns jetzt auch nicht weiter“, mischt sich Pippi ein.

„Kann einer verstehen was da steht?“

Mit langen Gesichtern starren wir, wie Indianer auf eine lächelnde Sonne, auf den Automaten.

Von hinten vernehmen wir eine männliche Stimme:

„Kauft die Fahrscheine doch in den Straßenbahnen.“

Wir drehen uns alle um, und entdecken hinter uns einen abgefuckten Penner, der wie wir irgendwann mal hier aus Deutschland gelandet ist, nur nicht wieder weggefunden hat.

„Geht das denn?“, erkundigt sich Blümchen ungläubig bei ihm.

„Klar.“

Ohne dass wir uns wehren können, fängt der Typ an seine Lebensgeschichte zu erzählen. Nach einer geraumen Zeit:

„Ich komme aus Münster und ihr?“

Sehr kurz angebunden antworte ich:

„Lübbenau.“

„Wo liegt denn das?“

Man kann ihm seine Skepsis ansehen, er weiß nicht so recht ob er verarscht wird, oder ob es stimmt.

Genau so trocken wie zu vor:

„In Sibirien.“

Dafür ernte ich einen noch viel ungläubigeren Blick. Die anderen haben sich bereits aus dem Staub gemacht.

„Hast du mal Kleingeld?“

Ohne dass ich ihm eine Chance zum Weitererzählen lasse:

„Ja klar“, und drücke ihm im selben Augenblick ein paar Cent in die Hand. Worauf hin er nur noch meinen Rücken zu Gesicht bekommt.

Kaum dass ich die anderen erreicht hab, fährt auch schon unsere Bahn vor. Sie ist fast leer.

„Ich seh` kein Automat“, stellt Küken lachend fest.

Nun stellt sich die bedeutende Frage, wer geht vor zum Fahrer, um die Scheine zu lösen.

Wie abgesprochen starren alle auf Filzer. Der grinst, in seiner so typisch verschmitzten Art, und trottet langsam vor. Partystimmung macht sich bei uns breit, wie wir ihn Vorlaufen sehen.

trottelig und cool zugleich steht er vorn und versucht dem Fahrer sein Anliegen nah zubringen. Küken`s Lachen wird, von Tiger`s angepeitscht, immer lauter. Nach zwei Minuten kommt Filzer immer noch grinsend wie ein Honigkuchen zurück und sagt leicht lallend:

„Ich glaub - der hat nicht so recht verstanden, was ich von ihm wollte - glaub ich."

Schallendes Gelächter ist in der Bahn zu vernehmen.

Pippi fragt etwas besorgt: „Und nun? Wir können doch nicht ohne Fahrscheine fahren.“

Und Blümchen gibt ihr recht.

Zur Tarnung verstellen wir Kerle uns nachdenklich, ohne jedoch wirklich darüber nachzugrübeln, wie doch dieses, in Pippi`s und Blümchen`s Augen, so ernsthafte Problem zu losen sei.

So nach fünf Minuten kommt so`n Ökobrillenfutzi zu uns hinter und labert uns auf eine uns nicht verständliche Sprache zu. Tiger und Küken machen sich daraus einen Spaß und fangen an den Typen zu verarschen. Der dreht sich um, zeigt keine Reaktion und geht wieder vor.

Als Küken wieder Luft bekommt: „Ich glaub, der wollte, dass wir vor gehen und bezahlen.“

„Ich war doch grad` vorn.“

„Na los Filzer, mach`s doch noch mal!“, drängelt ihn Tiger, mit Vorfreude auf die nun folgende Show.

Von uns allen angefeuert geht Filzer zum zweiten Mal nach vorn. Diesmal braucht Filzer nicht ganz so lange und kommt triumphierend zurück.

„Der kann nicht wechseln. Gebt mal Kleingeld!“

Als er das nötige Kleingeld zusammen hat, macht er sich zum dritten Mal auf den Weg zum Fahrer.

Wie ein kurzsichtiger Greis steht er vorn und zählt dem Mann das Geld in Zeitlupentempo vor.

Mit sieben Fahrscheinen in der Hand und dem Ausdruck, wie Cäsar, der in Gallien einmarschiert, kommt er zurück.

„Ich kann mir richtig vorstellen, wie Filzer vorne steht und irgend welche Scheiße stottert und dabei die ganze Zeit übers ganze Gesicht grinst. Der Typ muss sich wie im Comic vorgekommen sein“, spottet Tiger. Worauf hin alle in ein lautstarkes Gelächter ausbrechen, nur Küken nicht, dessen Gesicht rot anschwillt und unter fiepsenden Lauten versucht Luft zu schnappen. Zum gleichen Zeitpunkt erreichen wir unsere Station und steigen grölend aus.

 

Check-in

 

„Da ist das Hotel und hier müssen wir lang“, sag ich und zeige zu erst über eine Brücke und dann auf die Wegbeschreibung.

Guter Dinge und voller Freude nun endlich in A`dam zu seien, nehmen wir die Kälte nicht wahr. Nur Suse bildet eine Ausnahme.

Wir gehen über die erwähnte Brücke und kommen an ein Hotel.

„Oh, kuck mal, Pizza Hut“, stellt Tiger freudig fest und deutet auf das Erdgeschoss des Hotels. Pippi nimmt überglücklich ihren Küken an den Arm und verkündet: „Geil, da können wir nachher essen gehen.“

Im selben Augenblick merke ich, wie mein Magen vor Schreck zusammen zuckt.

„Scheiße! Da hab ich ja nun überhaupt keinen Bock drauf. Mir wird schon übel bei dem Gedanken.“

Wenige Meter hinter dem gastronomischen Schlemmerparadies biegen wir nach rechts, in eine lange schmale Seitengasse. Nach dem wir zweihundert Meter hinter uns gebracht haben, eröffnet sich uns ein gewaltiger Anblick. Eine riesige alte Villa, die wie die Herberge von Zombies wirkt, fesselt uns.

„Ist sie das?!?“, fragt mich Küken mit offenem Mund. Die selbe Frage schoss mir und auch den anderen durch den Kopf.

„Ja.“

Wir treten ein und stellen fest, dass nur das Äußere so alt wirkt, das Innere jedoch an eine normale Empfangshalle mit verschiedenen Ecken erinnert und von vielen Jugendlichen bevölkert wird. Wie in einem Bienenstock wuseln alle durcheinander und drängen sich um die Rezeption.

„Ob wir schon in unsre Zimmer dürfen“, flüstert mir Pippi ins Ohr. Blümchen, die es gehört hat, „Ich hoffe!“, und von der anderen Seite vernehme ich Suse`s klagende Stimme: „Ich auch, ich will nur schlafen.“

Wir stellen uns mit Pippi an die Schlange an, während die anderen im Warteraum Platz nehmen. Ich überlege, ob ich mich mit den netten jungen Damen an der Rezeption auf Englisch oder Deutsch verständigen soll. Was eh auf`s Selbe hinaus laufen würde. Wenn ich es auf Deutsch ankommen ließe, würden sie wissen: `Ah die Ungebildeten sind da.´ Und auf Englisch, könnte es mir passieren, dass man mich schmunzelnd anlächeln würde, da meine Schulenglischkenntnisse nicht sehr weit reichen. Zu meinem Glück höre ich vor mir ein grelles Sächsisch und die junge Frau hinter der Rezeption antwortet in einem fließendem Deutsch. Somit ist auch dieses Problem für mich aus der Welt.

Nach einer viertel Stunde sind wir an der Reihe. Ich versuche meiner Stimme einen noch männlicheren Klang zu geben und sage:

„Jäger - Eric Jäger ist mein Name. Ich habe für sieben Personen buchen lassen.“

Pippi kann sich mit Mühe und Not einen Schreikrampf unterdrücken, hält ihre Hand vor`s Gesicht und lässt ihren Kopf kraftlos auf meine Schultern plumpsen.

Für diesen Auftritt bekomme ich ein hinreisendes Lächeln von meiner Gesprächspartnerin.

„Ja, jetzt ist Check-out und ab 10:30 Uhr bis 16:00 Uhr ist Check-in.“

Mir klappt die Kinnlade nach unten.

„Aha. Danke.“

Pippi schaut auf die Uhr und verschiebt ihr Gesicht, deutet mit dem Finger zur Wand an der eine Uhr hängt, die ich aber schon lange entdeckt habe. 09:45 Uhr ist dort zu lesen.

Wir gehen einige Schritte zur Seite.

„Ohhh nöööö!. Ob wir nicht schon eher unsere Zimmer bekommen können?“, quengelt mich Pippi an.

„Wenn die jetzt erst ihre Zimmer verlassen, dann müssen erst mal die Putzen durch die Zimmer ziehen und alles wieder auf Vordermann bringen.“

Wir gehen zu den anderen. Gebe jedem von uns ein Anmeldeformular, die mir die Frau gab und setze mich an ein kleines Tischchen, um den Wisch aus zu füllen.

Mir gegenüber sitzt eine alte Schachtel, die eine Ledertasche auf dem Tisch zu stehen hat und unentwegt etwas auf einen Zettel schreibt. Sie sieht aus, als würde sie für den KGB arbeiten.

Die Zeit, die ich für das Ausfüllen brauche, kommt mir endlos vor, wahrscheinlich weil ich immer noch gut unterwegs bin.

Die scheiß Zeit will und will nicht vergehen, jede Minute glotze ich auf meine Uhr und denke, dass schon Stunden vergangen sind.

Als es endlich soweit ist, gehen wir zur Rezeption, zum Check-in.

„Jäger? Ja neun Personen, zwei Nächte. Wollen sie länger bleiben?“

„Nein. Aber wir sind nur sieben Personen - ich hatte angerufen.“

„Ach ja. Sie bekommen...“

Am Ende bekommen wir zwei Schlüsselkarten und dürfen im Voraus bezahlen.

„Sie können ab 15:00 Uhr auf`s Zimmer."

In diesem Augenblick sehen wir aus, wie sieben Rundmäuler. Entgeistert und flehend wendet sich Pippi an die Frau: „Aber Check-in ist doch jetzt!?!“

„Ja das schon, aber in ihr Zimmer können sie erst um 15:00 Uhr. Die Zeit benötigen wir, um die Zimmer wieder her zu richten. Sie können ihr Gepäck so lange dort abstellen, wenn sie erst noch ein wenig in die Stadt wollen“, und deutet auf eine Tür, die verschlossen ist.

Wir stellen unser Gepäck ab und begeben uns nach draußen.

„Was machen wir denn jetzt so lange?“, fängt sich Pippi langsam wieder.

„Abkotzen!“, kommt es aus Suse`s Mund.

Filzer hat seinen Frieden schon längst wieder.

„Wir können ja in `n Coffee Shop geh`n."

Unterstützendes Lachen von der Männerfraktion wird hörbar.

Worauf von den Mädchen ein eindeutiges „Nööö!“ zu hören ist.

Blümchen probiert es mit einem konstruktiven Vorschlag: „Lasst uns ein bisschen spazieren gehen, nebenbei etwas essen und dann können wir ja auf unser Zimmer.“

„Ich will nur schlafen“, meldet sich Suse wieder zu Wort.

Tiger wendet sich an uns: „Und wir - wir geh`n dann noch ein wenig shopen. Nich wahr!?!“

„Ja, so machen wir`s. Wenn ihr euch dann hin legt, geh`n wir noch `ne Runde shopen“, versucht Küken die Mädchen zu beruhigen und den Biss aus Tiger`s Worten zu nehmen.

Worauf Filzer noch etwas Öl ins Feuer gießen muss und ganz leise "Coffee shopen" grinst.

 

Pizza Hut?

 

Die Sonne scheint - zwar nicht sehr stark - aber sie scheint. Wir gehen die Gasse entlang, die wir gekommen waren. Werten die Eindrücke, die wir in der Jugendherberge gesammelt haben, aus. Und irgendwie landen wir vorm Pizza Hut. Die Mädchen postieren sich um die Karte, die draußen aushängt.

„Das ist aber ganz schön teuer“, stellt Blümchen fest.

„Na und, da schmeckt`s aber“, entgegnet Pippi.

„Was ich zu bezweifeln wage“ und gebe meinem Gesicht einen angewiderten Ausdruck.

„Und Pizza fressen kannst du auch in Berlin gehen.“

Wir sind uns mit Blümchen einig und gehen weiter. Die anderen kommen notgedrungen nach.

Ein paar Meter weiter brüllt Küken: „Wir können ja hier was essen?!“

Er meint damit das indonesische Nobel-Restaurante, das menschenleer ist und an dem wir gerade vorbei sind.

„Ja, dann können wir auch alle einen Fensterplatz haben. Jeder an einem Tisch.“

Doch Tiger`s Beitrag findet nicht den Zuspruch, den er verdient hätte.

Blümchen und ich biegen indes um eine Ecke und philosophieren über die Möglichkeiten des Essens.

„Von mir aus können wir noch eine Weile warten, mit dem Essen. Und Pizza Hut muss nun wirklich nicht sein. Wenn wir schon mal in A`dam sind, dann können wir doch mal was essen, was es bei uns nicht gibt, oder schweineteuer ist.“

„Ich hab eigentlich schon Hunger, aber wir können ruhig noch eine Weile suchen. Auf Pizza Hut hab ich auch nicht die richtige Lust, wir waren mit Tiger erst letzte Woche am Alex dort essen.“

„Ich war noch nie bei dem Verein essen. Wie ist es denn so? Kann man das Zeug überhaupt essen?“

„Ja, es ist eigentlich ganz lecker. Aber ich esse immer nur Salate. Tiger sagt aber, dass die Pizzen auch ganz o.k. sein sollen.“

Wir kommen an einem Café vorbei. Der Rest von uns kommt immer noch missmutig nach. Meine Begleiterin und ich bleiben stehen und begutachten es erst einmal von außen.

„Sieht ganz nett aus.“

„Na dann lasst uns doch rein gehen.“

Tiger greift sein Blümchen und geht mit ihr rein.

Pippi, die sich immer noch nicht mit der Tatsache abfinden kann, dass wir Pizza Hut abgelehnt haben, versucht den Laden gut zu finden, was ihr aber irgendwie nicht gelingen will.

„Es sieht aber nicht so aus, als ob es hier was vernünftiges zu essen gibt.“

„Lass uns doch erst mal schauen, Schatz!“, Küken legt seinen Arm, liebevoll wie ein Kavalier der alten Schule, um Pippi`s Schultern und führt sie durch die Tür.

„Das Frauen immer so kompliziert sein müssen“, ich schau Filzer an und er grinst.

Suse hakt sich, ebenfalls grinsend, bei mir ein und auch wir gehen in den Laden.

„Sieht echt gemütlich aus“, meint Suse zu mir und wir gehen zu den anderen an einen großen Tisch.

Überall ist Holz, die Verkleidung der Wände, die Decke, die Möbel und die Bar. Einige Jazzplakate hängen an der Wand und ein riesiger Spiegel hinter der Bar verleiht dem Raum Größe.

„Mich erinnert dieser Laden an eine alte englische Wettkneipe.“

Auch die anderen sehen sich um und geben mir dann recht.

Und wieder bedient uns eine junge nette Dame mit sympathischen Äußeren und legt die Karten auf den Tisch.

„Danke!“

„Ach ihr seit aus Deutschland. Wartet ich bring euch deutsche Karten“, nimmt die Karten wieder vom Tisch und kommt mit anderen wenige Sekunden später zurück.

„Cool.“ Tiger ist überrascht.

Filzer wird sein Dauergrinsen nicht mehr los und gibt dabei seine typischen Laute ab: „Heee, heee, heee.“

Pippi fragt ungeduldig drängelnd: „Hat jemand schon was zu Essen gefunden?!?“

„Küken, wie kannst du es nur mit diesem Mädchen aushalten?“, frage ich genervt, aber immer noch lustig. Pippi nimmt ihrem Küken die Antwort ab: „Er liebt mich eben.“

„Das muss er wohl, anders kann ich mir das nicht erklären.“

Filzer leise zu Tiger: „Der Ärmste!“, und beide lachen.

„Was gibt´s denn da zu lachen?“, will Pippi wissen.

„Ach, war nicht so wichtig“, versucht sich Tiger zusammen zu reißen, bricht aber mit Filzer, wenige Bruchteile von Sekunden, wieder in Lachen aus.

„Schatz - ich hab was gefunden. Hier auf der letzten Seite."

Küken kümmert sich besorgt um seine Pippi (oder er ist ein hervorragender Schauspieler).

„Also ich nehm` ein Bier.“

Ich schau Suse an: „Willst du nichts essen?“

„Hast du dir mal das Essen angesehen? Nein danke, kein Bedarf.“

Ich lese die letzte Seite. Es gibt belegte Brötchen, Buletten, Würstchen und Kuchen. Suse hatte recht, keiner von uns hat auf so was Appetit und so bestellen wir nur Getränke.

„Bis jetzt gefällt mir Amsterdam ganz gut“, versucht Pippi ein Gespräch anzukurbeln.

„Ich hab Hunger! Und wie!“

Küken fängt an, an Pippi`s Ohr zu knabbern.

Filzer smilet: „Ich bekomm` auch langsam Hunger.“

Pippi wittert ihre Chance und ergreift sie ohne zu zögern: „Lasst uns doch zu Pizza Hut gehen!“

Tiger stellt sich nicht unerwartet und uneigennützig auf ihre Seite: „Genau, da gibt es wenigstens richtige Portionen.“

Ich bekomme ein ungutes Gefühl: „Woher willst du das wissen? Du warst doch noch nicht hier essen.“

Blümchen wechselt, zu meinem Bedauern, die Fronten: „In Berlin ist es aber so“, so dass ich allein da stehe.

„Hier ist aber Amsterdam!“

„Das ist doch überall gleich.“

Tiger`s Argument überzeugt mich nicht.

„Kann ich mir nicht vorstellen.“

Pippi umschlingt ihren Küken: „Also ich will zu Pizza Hut und du auch. Nichtwahr Schatz!?!" und streicht ihm liebevoll durch sein Haar.

Küken löst sich behutsam aus ihren Fängen und nippt an seinem Tee. Grinst in die Runde und sagt: „Ja – na klar.“

Tiger brüllt mit Filzer wieder gleichzeitig los.

Pippi wird ungeduldig: „Was ist denn los? Ich denk wir wollen was essen!?!“

Suse betrachtet das ganze Geschehen mit einem leichten Schmunzeln und raucht ihre dritte Zigarette. Seit wir rein sind, ist eine halbe Stunde vergangen und wir bezahlen.

„Lasst uns doch erst mal in die Richtung gehen."

Blümchen schlägt die entgegengesetzte Richtung ein, die wir gekommen waren. Mir schießt es durch den Kopf: `Hat sie doch nicht die Seiten gewechselt, braves Mädchen´.

Pippi ist sichtlich sauer und folgt nur sehr zögernd, sie ist einfach bockig. Die übrigen schlendern cool und entspannt die Straße entlang.

„Kuckt mal, ein Coffee Shop“, und Tiger hat ihn schon anvisiert.

Pippi ist nun vollkommen entnervt: „Ach nein, nicht schon wieder. Ich denk wir woll`n was essen.“

Blümchen schüttelt resigniert den Kopf.

Von dem Wunsch gepackt Pippi noch ein bisschen zu ärgern, sage ich: „Für mich ist das genau so wichtig wie essen.“

Filzer grinst und korrigiert mich: „Wichtiger!“

Also schlagen wir den Weg zu Pizza Hut ein, damit Pippi endlich Ruhe gibt.

Wir gehen rein und nehmen an einem Tisch in der Ecke am Fenster Platz.

Dies mal bedient uns eine Frau, die sich höchstwahrscheinlich in den Wechseljahren befindet, die ihre Freundlichkeit etwas übertreibt (eine Eigenschaft die typisch für Zombies ist und mir absolut unsympathisch).

„Ah, ihr seid aus Deutschland. Von wo genau kommt ihr denn her?“

„Aus Berlin.“

„Aus Berlin? Ich habe zwei Jahren in Berlin gelebt und gearbeitet. Eine schöne Stadt.“

„Mh“, kommt es mir nur dürftig über die Lippen.

„Aha“, gibt Küken höflicher und interessiert von sich.

Die Mädchen lächeln der Frau freundlich zu.

„Was möchtet ihr denn essen?“

„Dürften wir vorher die Karte sehen?“, frage ich frech.

Suse bestellt erst mal ein Bier für sich. Ich bestelle einen Tee und Filzer, Küken und Blümchen auch.

„Ich nehme eine Cola“, sagt Tiger.

„Ich will einen Pfefferminztee“, gibt Pippi der Frau zu verstehen.

Die schüttelt den Kopf: „Wir haben Früchte-, Brennessel-, Kamillen-, Lindenblüten-, Jasmin- und Schwarztee.“

Pippi schaut hilflos in die Runde.

„Ich nehme dann den Kamillen, nein den Lindenblütentee. Nein halt, ich nehme dann doch lieber den Kamillentee.“

Wie die Kellnerin die Getränke bringt, geben wir unsere Essenbestellung auf. Nur Tiger bestellt nichts.

„Sie wollen nichts essen?“, fragt sie skeptisch Tiger.

„Nö.“

Küken hat sich für das Pizzabüfett entschieden.

„Sie dürfen ihm aber nichts von ihrem Essen abgeben. Ihre Bestellung ist nur für sie“, wendet sie sich eindringlich an Küken.

„Ja“, antwortet er ihr und grinst als sie unseren Tisch verlässt.

„Man, die soll sich nicht so affig haben“, bemerkt Suse etwas abfällig und nimmt einen Schluck von ihrem Bier.

Nach einer viertel Stunde bekommen wir unsere Pizzen und Pippi und Blümchen ihre Salate. Küken geht vor an`s Büfett und kommt mit drei verschiedenen Stücken Pizzen wieder.

Als ich meine Pizza genau in Augenschein nehme: „Ich glaub es nicht!“, muss ich feststellen, dass der Boden total ölig und knusprig gebraten ist.

„Das kann doch wohl nich wahr sein!“

„Was is`n das?!“, Suse lacht mich an.

„Schmeckt doch.“ Pippi schiebt sich einen Happen von Küken hinter.

Filzer bekommt sein Dauergrinsen nicht mehr unter Kontrolle.

Tiger beobachtet das Geschehen: „Und Küken, schmeckt`s?!?“

„Weiß nicht, schmeckt irgendwie komisch, also das erste Stück war besser.“

„Sollten wir morgen wieder her gehen, was ich ganz stark befürchte, nehme ich das Salatbüfett. Die Scheiße kann man ja keinem anbieten“, und schiebe meinen Teller mit der dreiviertel Pizza von mir weg.

Blümchen ist im Gegensatz zu mir mit ihrem Salat zufrieden.

„Ist ja bald wieder Sommer“, ich versteh nicht ganz, was Tiger damit sagen will, doch er freut sich. Küken wechselt seinen Blick zwischen Tiger und Pippi. Suse mustert ihr Glas vorsichtig, verzieht ihr Gesicht. Filzer sieht es und nimmt seine Hand vor`s Gesicht und lacht in seiner Art los.

„Was ist denn los?“, will Tiger wissen, der die Ereignisse nicht mitbekommen hat.

Blümchen wendet sich besorgt zu Suse: „Geht`s wieder?“

Suse winkt ab: „Ja schon gut.“

„Küken, kannst du dir vorstellen, mir noch ein Stück von deiner leckeren Pizza zu geben?“

„Ja klar.“

Küken schaut sich vorsichtig um bevor er Tiger das Stück reicht.

„Eh, wenn die das sieht. Mach nich Schatz!“

„Du kannst! Sie ist gerade nicht da. Ich sag, wenn sie kommt“, macht sich Blümchen mitschuldig.

Tiger verschlingt die Pizza gierig mit zwei Bissen.

„Ihr seid unmöglich!“

Pippi ist entsetzt.

Suse zeigt Verständnis: „Lass sie doch, ist doch o.k., wenn die hier so doof sind.“

„Zu Hause machen wir das nur so“, erklärt Blümchen.

Pippi ganz ungläubig: „Wirklich? Ich find es trotz dem nicht gut.“

„Ist doch o.k.!?!“

Tiger blickt zu Filzer: „Oder!?!“

„Ja, ist o.k.!“ und grinst, wie so oft.

Das Grinsen hat sich aus den Gesichtern der Jungs noch immer nicht entfernt. Draußen fängt es an zu nieseln.

„Ach nööö! Kuckt mal!“, Blümchen deutet nach draußen.

Die Kerle schauen sich freudig an und nicken.

„Wir können ja nach her in ein schickes Café gehen.“

„Du meinst wohl eher Coffee“, berichtigt Blümchen ihren Tiger.

„Ich will erst mal schlafen.“

„Ich auch!“ verkünden Pippi und Suse.

Blümchen sagt, was alle irgendwie denken: „Na wir können uns ja am Nachmittag hinlegen und die Jungs können sich ja in`nem Coffee Shop zukiffen!“

„Ja genau.“

Küken fragt seine Pippi: „Du willst echt schlafen?“, und tut sehr scheinheilig.

„Joa!“

„Gut“, gibt Tiger zufrieden zu verstehen „so machen wir`s“, und küsst, glücklich über die Tatsache, bald wieder in einem Coffee Shop sitzen zu können, sein Blümchen auf den Mund und hält ihr Gesicht mit beiden Händen zärtlich fest: „Mein Blümelein!“

„Ja, ja. Ich weiß doch, wie nötig du es hast.“

Filzer lacht wieder mal los und steckt alle zum X-tenmale an. Die übrigen Gäste drehen sich neugierig zu uns um.

„Ich glaub, die wissen was geht.“

„Auf jeden Fall!“, unterstreicht Tiger Küken`s Vermutung.

   

Mau-Mau oder Skat? T.H.C.!

 

Um 15:00 Uhr sind wir zurück in der Jugendherberge. Wir verlassen durch eine Hintertür das Hauptgebäude und kommen in einen schönen Garten, der im Sommer wunderbar sein muss. Vor uns steht ein schmucker Neubau, der im alten Stiel gebaut ist. Wie wir unser Zimmer betreten, stellen wir fest, dass unser Zimmer nur sechs Betten zu bieten hat.

„Tcha Filzer, du wirst wohl in einem anderen Zimmer schlafen müssen.“

„Küken, was redest du nur für`n Quatsch. Filzer schläft natürlich in deinem Bett mit.“

Für diesen Vorschlag bekommt Tiger von Pippi einen giftigen Blick und von den anderen Gelächter.

„Oder Filzer kommt in so`n großen Schlafsaal, wo noch zwanzig andere seiner Art schnarchen.“

„Ja und nachts, wenn er schläft, kriecht so`n alter Sack in sein Bett und kuschelt sich an ihn rann.“

„Und die Zimmer stinken bestimmt nach Schweiß, Knoblauch und Pups.“

„Aber Filzer wird das alles egal sein, weil er, wenn er schlafen geht, so im Sack sein wird, dass das ganze Zimmer ihn von hinten hart rannehmen kann.“

Bei dieser Vorstellung schüttelt es jeden einzelnen von uns und die Mädchen, die sich bisher mit Kommentaren zurückgehalten haben, geben angeekelte Geräusche von sich.

„He Leute, hier ist eine Dusche und hier ist ein Klo. Wunderbar, das kann ja morgens eine Warterei werden. Und der letzte, der das Klo betritt, braucht den ganzen Tag nicht mehr rauchen, weil er von den Ausdünstungen total benebelt sein wird.“

„Jagger, Du willst, ihr wollt doch nicht etwa hier, .....

Kacken gehen?!?“, schaut Pippi erst mich und dann den Rest von uns Jungen, mit gerümpfter Nase, an.

„Wo denn sonst!? Dafür ist das Klo doch da. Zum Kacken! Oder?“

„Das ist doch nicht dein Ernst!!!? Du willst ernsthaft hier kacken? Ihr könnt doch in`nem Coffee Shop geh`n!!“

„In`nem Coffee Shop? Weißt du wie die Klos dort aussehen? Ich meine, weißt du, wie ein richtiges Bahnhofsklo aussieht? Ich meine ein richtiges Bahnhofsklo. Nicht so`n sauberes Schickimickiklo. Ein richtiges Bahnhofsklo könnte mit den der Shops verwand sein. Würdest du auf einem Bahnhofsklo kacken gehen, wenn du die Möglichkeit hättest, hier auf einem warmen sauberen Klo, deinem alltäglichen Schiss nach gehen zu können. Ganz ehrlich!“

„Na ja. Aber?“

„Nichts aber! Ich geh hier kacken und nirgendwo anders!“

Damit ist auch dieses, für Pippi, so heikle Problem wohl oder übel gelöst. Wir beziehen die Betten bis auf Filzer, der kein`s hat.

„Jagger, kannst du mal runter gehen und mal fragen wo ich schlafen soll?!“, bittet er mich.

Also nehm` ich auch dieses Problem in die Hand, ich bin ja schließlich so etwas wie der Reiseleiter der Truppe. Geh also zur Rezeption, wo man mir versichert, dass eine Liege noch in`s Zimmer gebracht wird.

Wie ich wieder in`s Zimmer komme, haben die Girls schon Schlafstellung bezogen und wir Herrn verlassen sie mit der Gewissheit, viel Spaß zu haben.

An der frischen Luft erwartet uns ein angenehmes Klima und die Fragen:

„Wo ist der nächste Coffee Shop?“

„Und wie kommen wir am schnellsten hin?“

Filzer, Tiger und Küken blicken mich erwartungsvoll an.

„Na dann, rein in`s Vergnügen. Willkommen im Paradies.“

Nach gut einer viertel Stunde weiß ich, wo wir uns befinden.

„Hier waren wir damals“, wende ich mich an Tiger. „Ich weiß jetzt, wo wir sind.“

„Ich auch. In Amsterdam.“

„Nee.“, widerspricht Filzer Küken. „Im Himmel.“

„Na, und wisst ihr auch, wo der nächste Coffee Shop ist?“

Die Drei schütteln die Köpfe.

„Soll ich euch hin führen?“

Dies mal nicken sie sehr heftig. Wir geh`n noch gut hundert Meter und wieder erwarten uns Jamaikafarben über der Tür.

„Ja hier sind wir richtig.“

Küken öffnet die Tür. Ein Duft, den wir alle kennen und lieben - ja anbeten - strömt uns entgegen. Reggae ist laut zu hören und hinter der Bar steht ein Nigger mit fetten Rastern.

„So stell ich mir Jamaika vor - nur wärmer. Und jetzt kann ich mich auch wieder erinnern, dass wir hier waren.“, freut sich Tiger.

Wir setzen uns an den einzigen freien Tisch, über dem eine Mörderbox hängt und nach unten gerichtet ist.

Der Laden wird immer voller und je mehr wir konsumieren, um so lauter wird die Musik. Wir ergreifen die Flucht. Draußen ist es noch Nachmittag und wir sind fett wie`ne Armee.

„Ist das geil.“

„Ja. Wenn ich mir überlege wie schwachsinnig doch unser Staat ist.“

„Du kannst ja her ziehen.“

„Dann wär´ ich ja nur noch fett und würde mich tot kiffen. Nein, dafür ist es noch zu früh. Vielleicht später mal, wenn ich der Meinung bin, dass ich genug von allem hab´. Dann werde ich auf deine Idee zurück kommen.“

Filzer wendet sich träge an Tiger: „Nimmst du mich dann mit?“

„Na klar, Filzer.“

„Jagger, willst du nicht auch mit kommen?“

„Vielleicht, ich weiß noch nicht so recht. Der Gedanke gefällt mir schon, aber ich habe noch so viel vor. Und vom Kiffen wird man gut inspiriert, aber auf der anderen Seite werde ich auch meistens so träge. Mal seh´n.“

Wir zieh`n durch die Innenstadt, in der Tausende von Menschen unterwegs sind, kommen aber nicht weit. Und wir haben Party auf allen Kanälen. Wieder ein Shop. Wir rein.

Der ist auch voll, aber wesentlich ruhiger, was uns sehr entgegen kommt.

„Habt ihr schon mal breit Skat gespielt?“, frag´ ich.

Darauf bekomme ich eine verneinende Antwort.

„Das ist total abgefahren.“

„Aber Tiger kann doch kein Skat“, wirft Küken ein.

„Dann bringen wir`s ihm bei.“

„Ich will aber kein Skat spielen lernen.“

„Na dann, dann kuckst du eben zu.“

„Ich will auch nicht zu kucken. Ich will mich unterhalten.“

„Wenn du zu kuckst, kann das auch sehr unterhaltend sein.“

„Filzer willst du Skat spielen?!“

„Eigentlich hab ich schon Bock.“

„Woll`n wir nicht lieber Mau-Mau spielen?“

Worauf hin Küken, Filzer und ich protestierend die Köpfe schütteln. So beginnen wir Skat zu spielen. Haben einen heiden Spaß, nur nach zwei Spielen, die länger dauerten als gewöhnlich, fängt Tiger an massiv zu nerven bis er uns zwingt zwei Runden Mau-Mau mit ihm zu spielen.

Bis auf Tiger ödet uns dieses Spiel an und so spielen wir voller Freude wieder Skat. Und nach zwei Spielen geht das ganze Theater wieder von vorne los.

„Dann lasst uns eine Runde Mau-Mau und ein Spiel Skat, immer abwechseln spielen“, schlägt Tiger vor.

„Mann das ist doch langweilig.“

„Sag ich doch. Also lasst uns nur Mau-Mau spielen.“

„Ich meine Mau-Mau. Skat ist tierisch geil.“

„Genau. Was hast du gesagt?“, fragt Küken plötzlich Filzer.

„Ich? Nichts.“

Voller Nebel im Kopf gehen wir zur Herberge zurück.

„Na - wie war`s?“, empfängt uns Blümchen neugierig an der Tür. Weil wir die scheiß Sicherung mit dieser blöden Karte nicht auf bekommen haben.

„Die haben nur Skat gespielt und wollten nicht mit mir Mau-Mau spielen“, beschwert sich Tiger bei ihr und hofft um möglichst viel Mitleid.

„Ach mein armer Tiger. Haben sie dich geärgert?!“

„Ja!“

„Na komm her.“

Ich und auch Filzer, der nun auch ein Bett hat, haben noch nicht genug, doch Küken und Tiger hau`n sich hin und verabschieden sich für den heutigen Tag.

Die Mädels sind hingegen ausgeschlafen und voller Unternehmungslust.

 

Unter Gleichgesinnten

 

Blümchen und Filzer sind noch nicht so weit, was ihre Ausgehbekleidung betrifft, so geh ich mit Pippi und Suse in die hauseigene Bar hinunter. Sie ist echt nur sehr klein und ihre Atmosphäre läßt mehr als nur zu wünschen übrig. Ich fühle mich in eine Schuldisco versetzt und langweile mich zu Tode. Suse und Pippi versuchen in Stimmung zu kommen und bestellen alkoholische Getränke. Und obwohl sie sich angeregt unterhalten, gefällt es ihnen hier auch nicht. Daraufhin warten wir gar nicht erst bis Blümchen und Filzer erscheinen, geh`n ihnen entgegen, um ihnen den Weg zu ersparen. Wir schlagen den selben Weg, wie die Male zuvor, ein und landen auf dem kleinen Platz am Ende der Fußgängerzone, wo wir heut morgen aus der Straßenbahn stiegen.

„Und wohin jetzt?“

Doch im Gegensatz zu den Jungen, die mich fragend anblickten, entscheiden die Frauen selbst und schlagen selbstbewusst eine Richtung ein. Nur die Dauer, die wir laufen, ist um ein wesentliches kürzer als bei den Jungen. Das heißt, wir landen im nächsten Coffee Shop, den ich auch noch nicht kenne.

Wir gehen durch eine Öffnung, die keine Tür ist, denn diese ist nicht vorhanden. Einer langen Treppe folgend, gelangen wir in den Keller des Hauses. Die Türsteher, die uns hier erwarten, sehen echt finster aus. Die Weibchen werden anmachend von den Typen beglotzt, doch in Ruhe gelassen. Filzer und ich nicken uns zu und freuen uns, wieder in einem Shop gelandet zu sein. Meine Sinne nehmen sofort eine sehr angenehme Atmosphäre wahr. Die Leute, die hier abhängen, sind, nach ihrem Äußeren zu urteilen, Gleichgesinnte von mir. Meine Vermutung wird im Laufe des Abends bestätigt. Schon allein die Musik, die hier im Laden abgedudelt wird, ist mir mehr als nur bekannt, sie ist mir vertraut. Hart, aggressiv, kompromisslos, laut und ehrlich, wie die Leute, die sie hören.

Ein altes, uns bekanntes, Problem holt uns nicht runter aber ein. Kein Tisch ist frei. Von dieser Tatsachen ungestört fange ich an, im Stehen, einen J.J. zu bauen, wobei mir Filzer als Utensilienhalter behilflich ist.

Pippi tippt mir mit den Fingern an die Schulter.

„Ich glaub`, da wird was frei.“

„Ich glaub` das auch“, bestätigt ihr Suse und die Mädchen nehmen den frei werdenen Tisch in Besitz.

Wie ich es mir in der Ecke gemütlich mache und mich umsehe, stelle ich fest, dass es einer der beiden besten Tische hier unten ist. Wir labern und labern und die Zeit vergeht im Flug. Die Weibchen nehmen, die in Deutschland legalen, Drogen, in Form von Alkohol zu sich. Filzer und ich, wir kiffen. Nach zweiundzwanzig Uhr gehen wir über Umwege nach Hause, um uns noch A`dam bei Nacht zu geben.

Ich betrachte alles wie durch einen Schleier und meine Füße nehme ich nicht mehr wahr. Ich laufe automatisch. Unsere drei Begleiterinnen laufen vor Filzer und mir. Wir unterhalten uns, vergesse aber sofort nach dem ich etwas gesagt oder gehört habe, um was es ging. Die Nebenstraße, auf der wir entlang bummeln, endet in eine große Kreuzung. Vor uns, auf der anderen Seite, steht ein gigantisches Gebäude, das von grellen Flutern angestrahlt wird (wie sich später heraus stellt, handelt es sich um eine berühmte Galerie, dessen Name ich aber vergessen hab).

Von diesem Anblick stark in Mitleidenschaft gezogen, stürze ich mit Filzer den Mädchen hinter her, in Richtung Jugendherberge.

 

Frühstück - nur früh ohne Stück

 

Eine laute Stimme, die wie durch ein Megaphon verzerrt klingt, lässt mich unsanft aus dem Schlaf fahren. Meine Uhr zeigt neun an, und ich denk` so bei mir: `Jetzt fehlt nur noch der Fahnenappell und ich fühle mich wie im Ferienlager.´

Die Stimme, die nicht nur mich sondern auch die anderen halbwegs geweckt hat, kam aus der Sprechanlage, die wohl in jedem Zimmer installiert sein muss. Denn allmählich vernehme ich menschliche Geräusche aus anderen Zimmern.

`Heute ist also Silvester´, und kann nichts außergewöhnliche am Tag feststellen.

Als chronischer Hektikmacher bin ich als erster aus den Federn und verschwinde sofort in`s Klo. `Wer zu erst kommt, kackt zuerst. Und muss nicht den Gestank der anderen ertragen.´

Wie ich meine Sitzung beendet habe und das Klo verlasse, muss ich zu meinem Bedauern feststellen, dass nur Pippi und Blümchen in der Lage waren, meinem vorbildlichem Beispiel zu folgen.

„Soll ich auf euch warten, oder kommt ihr nach?“

„Wir kommen nach, geh` ruhig schon vor“, antwortet mir Blümchen und wendet sich ihrem Liebling zu, wie auch Pippi ihrem.

Mit einfühlsamen Gutenmorgenzärtlichkeiten versuchen die beiden zauberhaften Sirenen ihren jeweils ausgesuchten Seefahrern an ihr Land zu locken. Wobei Pippi die eindeutig leichtere Aufgabe hat, denn ihr Küken zeigt sich weitaus höriger, als der morgenmufflige Tiger.

Filzer, der niemanden hat, der ihn hätte wachliebkosen können, geht seiner zweitliebsten Beschäftigung, nach dem Kiffen, dem Schlafen, einfach nach und lässt sich von dem ihn umgebenen Stress weder stören, noch aus der Ruhe bringen.

Suse indes hat es auch schon geschafft die Augen zu öffnen und sich ausgiebig gestreckt. Mir wird die ganze Atmosphäre einfach zu schwül, und außerdem plagt mich der Hunger und zwingt mich das Zimmer auf dem schnellsten Weg in Richtung Keller zu verlassen.

Schon wie ich den Treppenflur im Hauptgebäude betrete, wo sich der Speisesaal befindet, umschließt ein höchst seltsamer Geruch meine hochempfindliche Nase.

Die Tür öffnet sich zum Speisesaal, ich geh` hinein und meine Sinneswahrnehmung wird verstärkt. Es riecht hier nach allem möglichen, nur nicht nach Essen.

Ich muss feststellen, dass mir etwas übel wird, wobei ich nicht weiß, ob es daher kommt, dass ich Hunger hab` oder der Geruch meine Hirnzellen lähmt.

Obwohl ich der Meinung bin, dass ich sehr früh und sehr schnell auf den Beinen war, stell` ich fest, dass der Saal gebrochen voll ist.

Vor meinen Augen nehme ich etwas mir vertrautes, aus alten Schulspeisungszeiten bekanntes, war - eine Schlange von jungen Menschen, die nach Essen anstehen. In ihren Augen ist der Hunger und gleichzeitig die Angst vor einem ungenießbaren Essen abzulesen. Auch meine Augen nehmen diesen Ausdruck an.

Eine Kiste, die einen Getränkeautomaten darstellen soll, bietet mir Kaffee, der leider schon alle ist, und heißes Wasser für Tee an. Da ich mich seit Jahren zu den Teekennern (nicht von Teekanne, Teebeutel sind kultur- und geschmacklos) zähle, habe ich ausgesprochenes Glück. Hinter mir höre ich jemanden auf bayrisch fluchen, weil er wohl zu den unzähligen Kaffeeabhängigen gehört. Den Teller mit dem Frühstücksutensilien greife ich mit meinem prüfenden Blick und rümpfe die Nase. `Scheiße!´

Mit meinem Teller und Teeglas bewaffnet entdecke ich einen freien Platz, steu`re ihn zielstrebig an und sichere ihn. Am Tisch beginne ich den Teller unter ernährungsphysiologischen Gesichtspunkten und genießerischen Kriterien zu untersuchen. Mein Ergebnis ist erschreckend, eine Scheibe übel riechender Käse und zwei Scheiben Billigwurst, die etwas schmierig zu seien scheint. So beschließ` ich, meine Aufmerksamkeit der Marmelade zu widmen. Als Schmierunterlage habe ich die Wahl zwischen einem geschmacklosem Weißbrot und einem im Mund verdünnisierenden Knäcke. Trotz des niederschmetternden Frühstücks herrscht eine freundliche, ja herzliche Atmosphäre im Saal.

Ich bin der einzige von uns, dem es vergönnt geblieben war, heißes Wasser für Tee zu bekommen, denn die Mädchen kommen etwas später ohne Getränke an meinen Tisch, und dies nicht, weil sie keinen Bock auf warme Getränke haben. Aber ich habe meine Schadenfreude unter Kontrolle, obwohl sie berechtigt ist, denn ich habe ja nicht umsonst so früh gedrängelt.

 

Museen – mal gesehen

 

Wieder auf unserem Zimmer zurück, will sich bei mir kein Sättigungsgefühl einstellen, mir knurrt immer noch mein Magen. Den übrigen geht es ähnlich. Sie hatten ja schließlich nicht mal Tee oder Kaffee.

„Wann wollen wir denn los?“

„Wenn die Mädchen so weit sind.“

„Weißt du schon, wo das Erotik-Museum ist?“

„Jau, kennst mich doch.“

„Woll`n wir nicht zuvor in`nem Shop für die gebührende Atmosphäre sorgen?“

„Lass uns doch erst mal los geh`n, wir werden schon seh`n.“

„Filzer`s Idee mit der Atmosphäre gefällt mir aber auch ganz gut.“

„Das kann ich mir denken“, mischt sich Blümchen, an Tiger wendend, ein.

„Nimm dir doch mal ein Beispiel an meinem Küken, der denkt nicht nur an`s Kiffen“, meint Pippi glücklich und wirft sich ihm an den Hals. Der verleiert seine Augen auf eine viel sagende Weise. Filzer und Tiger können sich wieder mal nicht beherrschen und brüllen los.

„Und das glaubst du wirklich?“, schau ich Pippi prüfend an, denn auch Suse und Blümchen können sich mit dem Lachen nicht mehr zurückhalten.

„Ja. Mein Küken ist nicht so wie ihr. Der ist lieb.“

„Und würde nie auf die Idee kommen zu kiffen, wenn wir ihn nicht dazu verführt hätten. Nicht wahr!?!“

„Genau!“

„Genau. Ihr habt mich nämlich verführt. Ich wollte nie kiffen, aber nun da ich weiß wie es ist, lasst uns in einen Coffee Shop geh`n und einen anrollen.“

Küken blickt seiner Pippi tief in die Augen.

„Nich Schatz?“

Ich werde langsam ungeduldig, da ich anfange zu schwitzen. Ich steh` nämlich in voller Montur im Zimmer.

„Nach dem dieser wichtige Sachverhalt geklärt ist, können wir dann aufbrechen!?!“, frage ich nett aber eindringlich.

Auf der Fußgängerzone ist sehr viel los. Wir genießen die klare kalte Luft und schlendern langsam an den Schaufenstern entlang. Filzer und Tiger lassen sich dabei am meisten Zeit. Ich steh` mit Küken und Suse an einem Postkartenstand und sehe wie Blümchen mit Pippi auf der anderen Seite Schuhe bewundern, Filzer und Tiger ziehen unbeschwert ohne uns zu bemerken vorbei. Der Grund, warum ihre Schritte schneller werden, ist, sie versuchen uns einzuholen, denn sie hatten uns ja nicht gesehen. Doch es ist unmöglich uns einzuholen, denn wir befinden uns ja hinter den beiden. Aber was ist schon unmöglich, den beiden ist es in diesem Fall einfach egal. Erst als sie außer Reichweite sind, bemerkt Blümchen ihr Verschwinden. Wir machen uns aber keine Sorgen, denn jedem von uns ist klar, dass sie sich schon ein geborgenes Plätzchen gesucht haben dürften. Indes, kommen wir an eine lange Menschenschlange. Es ist das Wachsfigurenkabinett und wir überlegen ernsthaft, ob wir uns anstellen sollen. Da bemerke ich ein Schild, auf dem die Eintrittspreise stehen. Mir klappt der Unterkiefer nach unten und Suse sieht meinen hilflosen Gesichtsausdruck. Sie setzt die übrigen davon in Kenntnis.

„Was ist denn los?“, fragt mich Küken amüsiert. Ich deute mit dem Kopf auf das Schild. Für Sekunden nehmen alle meinen Gesichtsausdruck an.

Pippi fängt sich am schnellsten.

„Das kann doch nicht wahr sein!“

„Also für zwanzig Titten geh` ich nicht da rein“, und sag` das, was alle denken.

Wir gehen weiter in Richtung Bahnhof. Zu unser Rechten liegt ein kleiner Hafen, von wo aus die Grachtenfahrten gestartet werden. Doch dafür ist es uns einfach zu kalt. Zur Linken kommen wir schließlich am Erotik-Museum und ein Stück dahinter am Folter-Museum vorbei.

„Lasst uns aber zuvor erst zum Bahnhof geh`n. Vielleicht sind die beiden dort und warten auf uns.“

Einem jedem von uns legt sich ein schiefes Grinsen auf`s Gesicht und Suse blickt mich belustigt an: „Glaubst du wirklich daran!?!“

Ich lach los: „Eigentlich nicht.“

„Lasst uns aber trotzdem hin gehen, er ist ja nur hundert Meter entfernt.“

Blümchen hat, obwohl sie weiß, dass ihr Tiger lieber in einem gemütlichen Shop sitzen wird, als in der Kälte suchend in der Gegend herum zu irren, ein Rest von Hoffnung (It must be love! - Das Unmögliche zu hoffen).

Am Bahnhof schauen wir uns nach den beiden Verpeilten um, vergebens, keine Spur. Ich schau mitleidig zu Blümchen:

„Den wird schon nichts passiert sein. Den geht`s bestimmt gut“, und treff` den Nagel auf den Kopf.

„Das glaub ich auch“, gibt mir Küken recht.

Frohen Mutes gehen wir in`s Erotik-Museum.

„Ich hab` mir das etwas anders vorgestellt“, stell` ich fest als wir wieder auf der Straße stehen.

„Ich fand`s gut“, grinst Pippi.

„Ja, es ging. War o.k.“, ist Suse`s Resümee.

„Also ich will auf jeden Fall noch in`s Folter-Museum.“

„Ich nicht.“

Und die anderen beiden Mädchen schließen sich Suse an.

„Und du?“

„Ich komm` mit.“

„Wir gehen in das Café da vorn.“

„O.K. Wir kommen euch dann dort abholen.“

Wie ich mit Küken wieder aus dem Museum komme, ist es, als ob wir aus einer anderen Zeit zurück in die Wirklichkeit kommen. Es ist um Längen besser, als das Erotik-Museum. Und wir sind froh in der heutigen Zeit zu leben, obwohl sie auch grausam ist.

Wir geh`n unsere Mädchen holen und brechen in`s Rotlichtviertel von A`dam auf.

Hier scheint es nur Coffee Shops, Sexläden und Bordelle zu geben.

Wir bleiben vor einem großen Schaufenster eines Sex Shops stehen und bekommen das blanke Fragen. Es sind sämtliche Sexspielzeuge, Videos und Bilder zu sehen.

„Ist das widerlich.“

Pippi`s Ekel kommt vom tiefsten Inneren.

„Uar, ist das heftig. Das hat doch nichts mehr mit Liebe zu tun.“

„Deswegen heißt das ja auch Sex Shop und nicht Liebesladen“, plautz ich grinsend aus.

„Das ist mir ja sogar zu abartig.“

Die Mädchen sind geschockt von den Bildern wo Frauen ihre animalischen Triebe mit Tieren freien Lauf lassen. Eine Schlange, die wahrlich nicht klein zu seien scheint, zur Hälfte im Unterleib verschwunden, ein Hengst der sein riesigen Penis einführt, ein Hammel der französisch bedient wird und viel mehr.

`Seltsam, dass keine Männer auf den Abbildungen zu sehen sind´, mein Gedanke wird von der Tatsache, dass ja Männer die Käufer dieser Bilder und Videos sind, beantwortet.

Von dem Schleier der Perversion immer noch hart eingehüllt und angeschlagen lassen wir uns von der Menschenmasse mitreißen. An einer Reihe von Schaufenstern, in denen halbbekleidete exotische aber auch fette Mädchen und Frauen zu sehen sind, vorbei, beschließen wir, uns in einen Coffee Shop zurück zu zieh`n, um das Gesehene zu verarbeiten.

Auf den ersten Blick scheint der Laden ganz o.k. zu sein. Küken und ich kaufen Gras, und wir wollen uns, durchgefroren wie wir sind, hinsetzen und gemütlich einen durchziehen. Da gibt uns einer von den Typen, die hier wohl das Sagen haben, zu versteh`n, dass wir hier nur sitzen dürften, wenn jeder von uns auch etwas zu Trinken kaufen würde. Die Mädels, Küken und auch ich haben weder Lust in die Kälte zurück zu kehren noch auf eine Diskussion mit den Fuckern, also unterwerfen wir uns und bestellten jeder etwas warmes zu Trinken. Ich rolle eine nette Tüte und denke mir mein Teil. Ohne zu hetzen rauchen wir mit Küken die Tüte zügig weg. Denn auch den Frauen ist es anzuseh`n, dass sie hier so schnell wie möglich wieder raus wollen. Doch im letzten Drittel geraten Küken und ich doch in Hast. Da haben wir den Salat. Das übelste, was einem beim Kiffen passieren kann, ist Stress. Und den haben wir nun. Bloß raus hier.

Wieder an der frischen Luft wird auch dieser Laden bewertet. Urteil: unbedingt meiden!

Nach runden zwanzig Metern entdecke ich in einiger Entfernung zwei mir bekannte Gestalten. Ihre Körper heben sich von den anderer Menschen ab, als ob ihre Kleidung leuchtet. Es sind Filzer und Tiger, die völlig peilungslos durch`s Rotlichtviertel irren und wie zwei Clowns zum lachen aussehen.

„Nach dem wir feststellten, dass wir euch verloren haben, sind wir in ein Café gegangen. Uns war kalt.“

„Du meinst Coffee!?!“, will Blümchen von Tiger wissen.

„Ja, sag` ich doch, Café. Nach dem wir dann ordentlich gefrühstückt hatten und aufgewärmt waren, sind wir dann auch in`s Erotik-Museum gegangen.“

„Ach, Frühstück! Wie hat`s denn ausgesehen?“

„Na, wie so`n Frühstück eben aussieht.“

Tiger zeigt mit seinen Händen, als wolle er uns mit seinen Händen zeigen, wie sein letzter Fischfang ausgesehen hat.

Filzer grinst unaufhörlich und kann sich mit aller letzter Kraft auf den Beinen halten.

„Na, und wie hat`s geschmeckt?“

„Na, gut. Würzig eben.“

„Und was machen wir jetzt?“

Auf Pippi`s Frage bekommen Tiger`s, Filzer`s und meine Augen ein Leuchten. Pippi bemerkt dies, und sucht Unterstützung bei Suse und Blümchen.

„Nö, nicht schon wieder! Ich hab` Hunger, ihr doch auch, oder!?!“

„Na ja, geht so.“

Suse`s Antwort stellt Pippi nicht zufrieden und hakt noch mal nach.

„So`n schicker Salat, oder eine leckere Pizza.“

„Komm hier bloß nicht mit leckere Pizza, davon konnte ja nun überhaupt nicht die Rede sein. Mir wird schon ganz schlecht, wenn ich daran denke, widerlich!“

Meine Zurechtweisung nimmt Blümchen zum Anlass, sich mit in`s Geschehen zu mischen.

„Ich habe schon etwas Hunger.“

„Na also, laßt uns zu Pizza Hut.“

Pippi freut sich, zum X-ten Mal, ihren Willen durchgesetzt zu haben und den anderen ist es eh egal, außer mir, ich hasse Fast-Food.

 

Von Wahnvorstellungen und Neurosen

 

In mich gekehrt, fluchend über diese niveaulose Tatsache, ein beschissenen Imbiss zu besuchen, denn etwas anderes stellt Pizza Hut in meinen Augen nicht dar, bekomme ich nicht mit, wie die Mädchen beschließen, mit der Straßenbahn bis zum Pizza Hut zu fahren. So höre ich nur noch das Nachklingen von Pippi`s Worten: „ ... ja so mach`n wir`s.“

„Was machen wir?“

„Na mit der Straßenbahn fahren.“

`Moment mal bitte, wenn ich schon zum Opferaltar hin soll, dann möchte ich den Weg und die Art und Weise schon selbst bestimmen.´

„Ich laufe, hab` kein Bock auf Straßenbahn.“

„Wir haben doch g`rade beschlossen, mit der Straßenbahn zu fahren.“

„Erstens hast du beschlossen, und nicht wir. Zweitens habe ich gesagt, dass ich laufe, was du machst ist mir ehrlich gesagt scheißegal. Drittens habe ich sowieso noch nicht so`n Hunger und schau mir lieber noch A`dam bei`m Laufen an. Viertens will ich so wie so nicht zu Pizza Hass, weil, das hatten w`a schon gestern und irgendwann ist mein Ekelpunkt einfach überschritten.“

Pippi schaut mich, für meine ausführliche Begründung, etwas dämlich durch ihre großen Kulleraugen an und ist sprachlos. Dafür hab` ich Filzer sofort auf meiner Seite.

„Ich will auch lieber laufen“, und grinst Tiger an.

Der läßt sich nicht lang` lumpen und beschließt auch zu laufen.

Nur Küken ist sich etwas unsicher, ob er lieber das tun sollte, was er mag, oder ob er das tun sollte, was er zu mögen hat.

„Ich will eigentlich auch viel lieber laufen.“

`So, nun ist es raus, nun können klare Verhältnisse geschaffen werden.´

Als Küken seinen Wunsch geäußert hat, bekomme ich, als Belohnung für mein Verbrechen, die anderen zur Rebellion angestachelt zu haben, giftige Blicke von Pippi, deren sogar die Medusa unterlegen gewesen wäre.

Doch bevor ich zu Stein erstarren kann, schaltet sich Blümchen als Vermittlerin ein.

„Lass sie doch laufen, wir können doch schon vor fahren.“

So trennten sich unsere Wege.

Irgendwann kamen auch wir im Pizza Hut an. Ich erinnerte mich an die widerliche Pizza von gestern und entscheide mich für das Salat-Büfett. Nachdem ich nun das dritte Mal nach vorn zum Büfett trabe und mir einen weiteren Teller mit einem Salatberg hole, stellt sich bei mir, nach dem ich auch diesen verschlungen hatte, immer noch kein Sättigungsgefühl ein, obwohl ich voll bin wie ein Kartoffelsack. Mit dieser Erfahrung, weiß ich nun, wie sich der Wolf mit den sieben Steinen gefühlt haben muss. Immer noch hungrig aber mit einer riesigen Plautze, trotte ich den anderen in die Jugendherberge hinterher.

Wie auch schon am Tag zu vor, legen sich die Mädchen am Nachmittag hin und wir Kerle ziehen los.

Tiger und Filzer in, wie sollte es anders sein, einen Coffee Shop.

„Deswegen sind wir ja hier.“

Nur Küken und ich haben anderes im Sinn. Unser Ziel ist eine Galerie.

„Ich muss sagen, dass der Trip bis jetzt ein voller Erfolg ist. Nur schade, dass Bulette und Kalki nicht mitgekommen sind. Ich bin mir sicher, dass es ihnen auch gut getan hätte. Oder?“

„Auf jeden Fall. Wir können ihnen ja `ne Karte schicken, hier ist es schön, wir bleiben hier.“

„Woll`n wir?!“

„Na los!“

Wir bleiben vor einem Kartenkarussell, wie es sie an jeder Ecke gibt, stehen. Die Auswahl ist riesig. Küken macht ein paar Vorschläge, ich such ein paar Karten raus. Es vergehen gut zwanzig Minuten, ehe wir uns für zwei wirklich treffende Karten entscheiden. Auf Bulettes Karte ist ein Monster von einer Frau, nackt auf einen Stuhl gefesselt. Auf Kalkis sieht man einen Typen zeitungslesend auf dem Bett liegen und sich einen runter holt.

Durch das Rumstehen, sind wir ganz schön durchgefroren. Um uns aufzuwärmen und auch gleich die beiden Karten zu schreiben, gehen wir in einen warmen Shop.

„Was wollen wir denn schreiben? Hast du `ne Idee?“

„Küken, mach kein Stress! Lass mich erst einen kultivierten Friedensmacher bau`n. Den rauchen wir dann in aller Ruhe auf. Und wenn wir dann so richtig im Sack sind, können wir eine voll durchgeknallte Karte, erst an den einen und dann an den anderen schreiben. Sollten wir von der einen Tüte nicht genügend künstlerisch stimuliert worden sein, rauchen wir noch eine und noch eine, bis wir der Meinung sind, wir können coole Karten schreiben. Na ist das `n Vorschlag!?!“

„Gefällt mir wirklich gut. Ich bin der Meinung, wir sollten es so machen und nicht anders.“

Ich mache mich an die Arbeit. Wenige Minuten später halte ich einen klassischen Bilderbuchjoint in meiner Hand und lass mich von Küken, berechtigterweise, feiern.

Wir rauchen, philosophieren, träumen und rauchen. Wie befürchtet, sind wir ganz schön im Eimer, aber der kreative Kick zum Schreiben fehlt. Also demonstriert mir Küken, was er bei seinem Architekturstudium schon alles gelernt hat. Auch sein filigranes Bauwerk kann sich sehen lassen. Doch es ist ja zum Rauchen da und nicht zum stundenlangen Beglotzen. Als wir den zweiten Joint verpuffen lassen, fängt es in meinem Kopf vor lauter Ideen zu sprudeln an. Wie ein Reissverschluss verbinden sich Küken`s paranoide Wahnvorstellungen mit meinen extensiven Neurosen (die beiden Karten erwiesen sich als Volltreffer).

Es ist üblich, wenn man künstlerisch tätig ist, dass man die Zeit nicht wahrnimmt. Wir bilden da keine Ausnahme. So schaffen wir es, den Laden zu verlassen, bevor wir uns für Robert Crumb und Timothy Leary halten.

„Kuck, es is` schon dunkel.“

„Ja.“

„Was, ...  Was ... “

„Was hast du gesagt?“

„Was.“

„Wieso?“

„Weiß auch nich`. Hab`s vergessen.“

„Ah...ha.“

„Ich hab`s wieder. Was, ... Wie, ... Warum sind wir nicht mit Tiger und Filzer mitgegangen?“

„Weiß auch nicht?“

„Ich weiß es.“

„Was?“

„Warum.“

„Warum was?“

„Was?“

„Warum was? Was du ...“

„Ach so. Wir wollten in die Galerie.“

„Geeeennauuu.“

„Komm! Ich weiß, wo wir lang müssen. Ich ...“

„Was?“

„Hab` ich vergessen.“

Unsere Füße tragen uns durch Amsterdam und meine wissen, wo`s lang geht. Wir laufen und laufen.

An einer Kreuzung, die mir bekannt vor kommt, steht uns auf der anderen Straßenseite ein gigantischer Bau gegenüber, die Galerie. Wie zwei Bauern aus Mittelsibirien, die zum ersten Mal einen Wolkenkratzer sehen, starren wir uns mit angewurzelten Füßen das Bauwerk an.

„Is` dir auch so komisch?“

„Ja.“

„Ich kann mich nicht rühren.“

„Jaaaa.“

„Wahnsinn.“

„Jaaa.“

„Was machen wir jetzt?“

„Weiß nich`!?!“

„Wie spät ist es?“

„Weiß nich`.“

„Was is`n los?“

„Weiß nich`?“

„Bis du breit?“

„Weiß nich`? Denke schon.“

„Die Galerie macht in `na dreiviertel Stunde zu.“

„Ich glaub`, dass lohnt nich`.“

„Glaub auch!“

„Lass uns in die Herberge geh`n.“

„Machen wir.“

 

Silvester

 

Die Mädchen schlafen noch, als ich mit Küken unser Zimmer betrete. Eine halbe Stunde nach uns stürzen Filzer und Tiger völlig albern in`s Zimmer. Vom Krach geweckt, leiert Blümchen mit den Augen. Doch die beiden Harlekine schaffen es, ihre Stimmung auf uns übrigen zu übertragen. Erst stecken sie Küken, Pippi und mich an, und irgendwann auch noch Suse und Blümchen, die sich vergebens dagegen wert.

So gegen zwanzig Uhr brechen wir auf, um uns unter`s Volk zu mischen.

„Was wollen wir denn eigentlich machen?“, fragt Pippi mit erwartungsvollen Augen.

„Kiffen, kiffen und nochmals kiffen.“

Auch wenn Tiger`s Antwort lustig aus seinem Munde klingt, meint er es in jedem Fall ernst. Was Blümchen`s Empörung zur Folge hat.

„Ich habe nicht vor, den ganzen Abend in `nem Coffee Shop ab zu hängen!“

Es folgt eine Diskussion, die sachlich beginnt und völlig albern abgewürgt wird.

In der Stadt sind sehr viele Menschen unterwegs, die alle sehr gut drauf sind, was vielleicht mit den Coffee Shops zu tun haben könnte. Denn diese scheinen mit Leuten nur so vollgestopft zu sein.

Es ist uns unmöglich, ein warmes Plätzchen zu finden. So versuchen wir unser Glück in drei verschiedenen Shops, mit dem Ergebnis, man hält es in keinem lange aus. Pippi`s so geniale Idee, es müsse ja kein Coffee Shop sein, trifft in der Männerfraktion auf lautstarkes und einstimmiges Ablehnen.

Unser Weg führt uns, an einer Menschentraube, die sich vor dem Hardrock Café gebildet hat, vorbei.

Blümchen und Pippi sehen sich einig an, was Küken bemerkt. Er überlegt gar nicht erst lange und reagiert instinktiv richtig.

„Nöö, auf keinen Fall!“

Tiger, der von Küken`s Empörung angezogen wird, will wissen, was los ist.

„Was, auf keinen Fall?“

Küken deutet mit dem Kopf in Richtung Hardrock Café.

„Ohh nöö! Da hätten wir auch in Berlin bleiben können.“

Filzer ist indes alles egal, er hatte in jedem Shop, in dem wir waren, einen geraucht und ist nun breit. Suse ist allmählich genervt, was ich auch bin, denn unsere Stimmung ist so ziemlich am Nullpunkt angelangt.

„Ich habe kein Bock mehr durch die Gegend zu schießen. Die Läden sind überall voll. Ich will mich in irgendeinen Laden setzen und was trinken.“

„Genau, Suse hat recht.“

Da der Shop, wo wir am gestrigen Abend mit den Mädchen waren, gleich in der Nähe liegt, gehen wir dort hin.

Schon am Eingang empfängt uns eine Wolke des Friedens. Unten, am Ende der Treppe angelangt, befindet sich eine Menschenmasse, die kaum Luft zum Atmen hat. Ein Durchkommen scheint mir fast unmöglich, den anderen wohl auch. Denn wir bleiben nach wenigen Schritten, an einer Wand in der Nähe der Klos, um genauer zu sagen, direkt neben der Klotür, stehen. Ich bekomme nicht mit, wie sich die Mädchen auf die Suche nach besseren Plätzen machen. Nach einer viertel Stunde kommt Blümchen zu mir.

„Wir sind da hinten, da ist viel mehr Platz. Und eine Klimaanlage ist auch dort“, und verschwindet im Meer aus Menschen. Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass ich als letzter von uns an diesem wohlriechenden Platz verharrte. Denn die anderen waren schon längst zu den besseren Ufern aufgebrochen.

So kämpf` ich mich durch die menschliche Masse aus Fleisch, die full und breit in der gesamten Sphäre des Raumes verteilt ist. Mir scheint es, dass durch die laute Musik und dem alles umschließenden Qualm, jedes, der hier anwesenden Wesen, in seine eigene Welt befördert ist. Meine Welt läuft in Zeitlupe und in schematischen Umrissen ab. Das wilde Durcheinander, der vielen Menschen, nehme ich nur als eine einzige Geräuschkulisse wahr. Ein Junge versucht einem, vielleicht seinem, Mädchen etwas in`s Ohr zu flüstern. Was ja angesichts der Lautstärke gar nicht gehen dürfte. Dem Gesichtsausdruck des Mädchens kann ich entnehmen, dass es dem Typen auch nicht recht gelingen will. Sie schaut ihn mehr als fragend an.

Von überall her stürzen neue Stimmen auf mich ein. Doch es gelingt mir nicht, sie zu analysieren, weder von wo sie kommen, noch von wem. Geschweige in welcher Sprache sie auf mich hernieder wirken.

Die zehn Minuten, die ich brauche, um zu den anderen zu gelangen, kommen mir vor, als wäre ich den halben Abend unterwegs. Doch wenn ich es mir recht überlege, bin ich ja die gesamte Zeit in Amsterdam unterwegs.

Bei den anderen angelangt, setze ich mich auf den Fußboden. Die Frauen sitzen neben mir auf einem Billardtisch und trinken genüsslich ihre Cocktails. Filzer und Tiger sitzen mir gegenüber mit ihren Rücken an der Wand gelehnt. Und zwischen uns, im Weg, sitzt Küken und geht der selbstverständlichsten Beschäftigung nach, wie der größte Teil, der hier anwesenden Personen, Joint bauen. Ich sehe ihm dabei wie gefesselt zu. Es ist mir nie zuvor aufgefallen, mit welcher Liebe und Sorgfalt er baut. Seine Gesichtszüge nehmen immer zufriedenere Formen an, je mehr er sich dem Ende seines Werkes nährt. Küken ist ganz in sich gekehrt. Tiger und Filzer albern die gesamte Zeit nur rum. Sie beobachten alle, die für diese Aktivität in Frage kommenden Personen, und das sind in dem Fall ja alle, die hier sind. Mein Gefühl sagt mir, dass sich die hier anwesenden Menschen in zwei Gruppen aufteilen lassen. Die, die beobachten, und die, die beobachtet werden.

Unsere Weibchen haben es mittlerweile auch schon geschafft, ihre ersten Kontakte zu knüpfen. Oder andersherum, sie werden geknüpft. Von zwei pubertären Sachsen, die wohl glauben, dass sie unwiderstehlich sein dürften und Blümchen gleich ihre Adresse aufdrängen. Die Frauen freuen sich und lassen die jungen Don Juans gewähren, aber bewahren den gebührenden Abstand.

Tiger, Filzer und Küken haben von all dem nichts mitbekommen, denn sie haben etwas weitaus interessanteres als Beschäftigung gefunden. Ringe rauchen. Sich über den anderen totlachen, wie dämlich er doch aussieht, wenn er gezogen hat und das Gesicht zum Falten verzog.

Mittlerweile fängt mein Rücken an zu schmerzen. So setze ich mich neben Tiger an die Wand. Es geht langsam auf 24:00 Uhr zu. Ich spüre förmlich, wie sich die Luft mit Spannungen und Erwartungen bläht.

Um kurz vor Zwölf gehen ziemlich alle hinaus auf die Straße, um das neue Jahr gemeinsam zu begrüßen. Nur die, die schon schlafen, und das sind nicht wenige, und die, die dem Ereignis keinerlei Bedeutung zukommen lassen, bleiben drinnen, tun so, als würde sich nichts verändern.

Doch so ist es ja auch. Es verändert sich nur das Datum und nicht das Leben.

Ich entscheide mich unten zu bleiben, und die anderen gehen ohne mich nach oben. Komischer Weise denke ich in diesem Augenblick, des Alleinseins, an zwei Menschen, die mir die liebsten waren.

Mein Vater, der schon lange tot ist und meine erste und einzige Liebe, die ich vor noch viel längerer Zeit, wohl für immer, verloren habe. Um nicht noch tiefer in Depressionen zu sinken, fange ich an, einen wunderschönen Märchenwaldjoint zu bauen. Um ihn dann im Gedenken an Dad zu rauchen, wie wir es früher gemeinsam taten.

Nach einer halben Stunde kommen die anderen wieder herunter. Es beginnt das Drücken und das „Gesundes-Neues-Jahr-Wünschen“, was ich noch nie leiden konnte und zu dem eh schwachsinnig finde. Außer bei Suse, darauf freute ich mich schon, denn ich habe ja nicht oft die Gelegenheit sie zu drücken. Es ist schon komisch, obwohl die anderen Jungs, wie ich, über Silvester denken, kommen sie alle nach einander zu mir und na ja...

Pippi erzählt begeistert mit leuchtenden Augen, was alles oben geschehen war und es steht ihr die Freude im ganzen Gesicht geschrieben.

Und nach einer Stunde ist der Laden wieder knacken voll.

Über Umwege schlendern wir zur Herberge.

 

Der Tag, der unser letzter war

 

Das Aufstehen fällt fast allen schwer. Aber Tiger hat als chronischer Langschläfer die meisten Probleme und sein Blümchen ist schon mächtig gewaltig sauer auf ihn, denn wir müssen ja heute das Zimmer bis Zehn geräumt haben.

Ich bin als erster fertig, da ich weder mit dem Aufstehen, noch mit dem Packen Probleme hab`.

Obwohl es erst mein zweites Frühstück hier in der Jugendherberge ist, kommt mir alles schon sehr vertraut vor, nur der Geruch, der allgegenwärtig ist, kann sich nicht mit meiner Nase anfreunden.

Und wie schon am Vortag, lassen die anderen auf sich warten. Tiger und Küken bilden die Nachhut.

Auch wenn ich nur Deutsch bewusst verstehe, und hier weitaus mehr Sprachen durcheinander reden, sind die Inhalte der Gespräche klar, Auswertungen des Silvesterabends.

Nach dem Frühstück gehen wir wieder auf unser Zimmer, zum letzten Mal. Ich übernehme meine gewohnte Rolle als Stressmacher und Tiger, die des Gegenpols. Dieses System hat sich schon unzählige Male bewährt.

Mit unseren Taschen fahren wir zum Bahnhof. Wo wir unsere Klamotten in Schließfächern verstauen.

Es bleiben uns noch neun Stunden, bis unser Bus am Abend fahren wird.

Wir gehen durch Amsterdam, den Straßen ist die Schlacht, die sich gestern hier zugetragen haben muss, anzusehen.

Im Hafenviertel drehen wir ein paar Runden und als wir in einen Shop wollen, um nur Kaffee zu trinken, macht uns der Type klar, dass wir nur dann Kaffee oder andere Getränke bekommen würden, wenn wir auch Dope kaufen würden.

Über diese Dreistigkeit erzürnt, verlassen wir sofort unter lautstarken Protesten und Beschwerden den Laden.

Zwei Ecken weiter finden wir dafür ein sehr schönes Lädchen und verbringen dort unseren Vormittag. Unser Platz, den wir uns ausgesucht haben, hat einen Nachteil, es zieht von der Wendeltreppe her, die direkt neben uns nach oben führt.

Also beschließen wir nach oben zu ziehen, wo sich auch eine Bar befindet.

Seit wir aus der Herberge raus sind, habe ich das Gefühl, ein Klo besuchen zu müssen. Es scheint mir hier, der richtige Augenblick gekommen zu sein. Doch so wie ich dort hinein gehe, geh` ich auch wieder raus. Mein Bedürfnis ist wie weggeblasen. Das blanke Becken, von Urinstein konserviert und ein beißender ammoniakalischer Gestank.

Wir sitzen und sitzen, eigentlich nur noch aus langer Weile und um die Zeit rum zu kriegen.

Küken und ich beschließen, als wir am Sex-Museum vorbeikommen, hinein zu gehen. Ich erkläre den anderen, wie sie zum Shop gelangen, in dem wir nach unserer Ankunft als erstes einkehrten.

Es ist eine gute Sache, so ein Sex-Museum, wenn man nicht weiß, was man anstellen soll. Doch war das Erotik-Museum phantasievoller.

Auch wenn die Zeit nur sehr langsam vergeht, ist keiner von uns darüber traurig. So sitzen wir wieder in dem Laden, der uns begrüßte, und nun würde er uns auch verabschieden.

Auf Drängen ihrer Weibchen, gehen Tiger, Küken, Pippi und Blümchen noch einmal spazieren, unter dem Vorwand, etwas essen zu wollen.

In der Zwischenzeit philosophieren Suse, Filzer und ich über die Bedeutung, die Amsterdam unter kulturellem Aspekt trägt.

Mit zufriedenen Gesichtern kehren die vier nach einer Stunde zurück.

Ich beginne mich auf die Heimfahrt vorzubereiten. Stecke mir eine nicht gerade kleine Blüte in den Mund und beginne genüsslich auf ihr herum zu kauen. Wie Filzer das sieht, fragt er mit aufgerissenen Augen:

„Isst du das?“

Ich grinse ihn an.

„Nein! Ich versuche wie ein Hamster auszuseh`n.“

In diesem Moment sieht Küken zu mir herüber.

„Na dann, viel Spaß!“

Die Fahrt nach Haus vergeht zum Glück schneller und weniger stressig als nach A`dam.

In Berlin am Morgen angekommen, betreten Beamte des BGS unseren Bus.

„Schön guten Morgen. Allgemeine Zollkontrolle.“

Beim Verlassen des Busses, nehmen die Gesetzeshüter Stichproben von den Reisenden. Unter diesen Stichproben befinden sich auch Tiger und Küken.

Will kommen in Deutschland.

 

Ray Helming,  Dezember 1996 – Januar 1997
letzte Bearbeitung: 29.01.2012 Kontakt: Ray Helming