Aus den Tagebüchern zweier Lebender

 

Fünftes Kapitel

 

Liebes Tagebuch 3.11.1995

Man muß kein Zyniker oder Sarkast sein, um sich an dem, was im Fernsehen läuft, zu stoßen. Wenn man Naturberichte sieht, ist dort zu sehen und zu hören, wie schön doch diese Welt ist (noch) und wieviel Tiere und Pflanzen vom Aussterben bedroht sind. Landschaften, ganze Ökosysteme werden in Lichtgeschwindigkeit zerstört. Und einen Kanal weiter werden Luxuslimousinen versteigert, oder man zeigt, wie die wenigen Reichen dieser Welt mit ihrer Langenweile zu kämpfen haben und was sie alles dagegen unternehmen, wie schlecht es ihnen doch geht. Wie lange kann ein Mensch diese Scheiße überhaupt ertragen?! Vor unserer Haustür scheint alles friedlich, gar in Ordnung zu sein. Es ist alles o.k.. Doch hier ist doch schon lange nichts mehr o.k.. Geld, Geld, Geld und nichts anderes regiert uns. Ich bin nicht mehr bereit es mit anzusehen. Doch ich kann nicht blind durch`s Leben geh`n. Ich könnte mir das Leben nehmen, doch ändern würde ich auch nichts. Jeder Mensch müßte vor ein Naturgericht treten und sich für all seine Taten verantworten. Alle! Auch die, die angeblich nichts getan haben, außer auf Kosten der Armen der Welt und der Natur im Überfluß leben. Es kann nur eine Strafe für die Schuldigen geben. So zähl` ich mich auch zu den Schmarotzern dieser Welt.

 

5.11.1995

Der Mensch, der begriffen hatte, daß Feindschaft, Krieg und Hass, keine Probleme lösen können, nur noch weiter Probleme schaffen, wird von denen, die nicht begreifen wollen und auch können, kurzer Hand vom Leben weggeschafft. So lange es diese Menschen geben wird, die Glauben höher als Denken seh`n, gesteuert von der Gier zur Macht, der Macht zur Gier, werden Menschen Menschen töten, wie kein Tier ein Tier. Und ich frag` mich: was will ich noch hier?

 

Liebes Tagebuch 11.11.1995

Das Schlimmste für mich ist es, wenn ich nicht weiß, was ich will. Wenn ich unsicher bin, was ich machen möchte. Es geht nicht darum, was ich machen soll, sondern was ich wirklich will. Ich könnte so viele Dinge auf einmal anstellen und in diesem Augenblick fängt das große Raten an. Wo anfangen? Da mir von meinen Bedürfnissen und Begierden alles gleich wichtig erscheint und das wirklich erstrebenswerte bis zur Unkenntlichkeit vermischt wird, so ist ein Anfang nie möglich. Ist denn nicht alles gleich wichtig, wenn es mir hilft? Wenn ich meine Ideale, die mir alles sind, wider den Notwendigkeiten, die mir von der Gesellschaft aufgezwungen werden, unterwerfe, bin ich wieder an dem Punkt, wo ich sofort den Hut nehmen werde. Die Notwendigkeit als Ergebnis der menschlichen Entwicklung, mehr als Zwang von der Gesellschaft aufgedrückt und akzeptiert, aber nie verstanden, woher der wahre Ursprung herrührt. Fortpflanzen, Sterben, Essen, Trinken, Kacken, Pinkeln, Schlafen - Notwendigkeiten der Natur. Stress in all seinen vielen Formen, als Ergebnis, als Produkt des Fortschritts, im Sinne der fortschreitenden Zerstörung der Natur. Unfähig das Wissen anzuwenden. Ich werde auch nicht sofort sterben, wenn ich mir bei allen Dingen die ich mache mir Zeit nehme, alles in Ruhe durchdenke. Wir haben doch unser ganzes Leben Zeit. Und nur wenn man sich die Zeit zum Leben nimmt, bekommt man vom Leben etwas mit. Doch Zeit ist ja Geld und jeder will - muß es haben, jeder jagt dem Geld hinterher. Nur das Leben ohne Zeitdruck ist ein Genuß. Der Genuß des Lebens ist die Notwendigkeit des Lebenswillens, vielleicht ist es sogar der Sinn. Und sie entziehen uns den Genuß, wir lassen uns den Genuß entziehen, wir entziehen uns selbst den Genuß.

 

Liebes Tagebuch 17.11.1995

Sieh` diesen Menschen, wie er arbeitet. Gestern tat er es auch. Und die Tage davor auch. Und die Wochen, Monate, Jahre, sein ganzes Leben tat er nichts als arbeiten. Er ist nicht glücklich? Er hat nie darüber nachgedacht. Er hat keine Zeit zum Nachdenken, er muß arbeiten, weil er es will. Er kann nicht anders. Er macht alles in Ruhe. Er genießt seine Arbeit, denn er weiß, daß es nur für ihn ist. Andere arbeiten weniger als er, sie leiden unter Stress. Sie sind nicht glücklich. Sie können das Leben nicht genießen. Warum nehmen sie sich dann nicht das Leben? Ich brauche nicht so viel arbeiten. Ich habe viel Zeit zum Nachdenken. Ich habe oft Depressionen. Ich denke sehr viel nach. Ich habe mich schon 666-mal selbst umgebracht. Wie ich mit meinen Gedanken in meiner Heimat war. Gestern war es sehr roh draußen. Die UV-Strahlen griffen wieder an. Seitdem wir sie künstlich parfümisieren können, sind sie unausstehlich geworden. Also wenn nicht bald diese Fleischvorhänge ausgetauscht werden, oh... dieser Geruch. Mein Kopf wird ja fast radioaktiviert, oh mein Kopf. Im Spiegel habe ich mich schon mal mehr gefürchtet. Ja ja, das waren noch Zeiten. Das kam alles nur durch diese verfluchte Demolekulierung des Geldes.

 

Liebes Tagebuch 24.11.1995

Ich spiele mit meinen Gedanken Rugby. Ab und zu bestrafen sie mich dann mit Depressionen, aber meistens freuen sie sich über jede Bewegung in Richtung Seele. Vielleicht kommt eines Tages ein Mensch und sagt zu mir: "Ich und du, warum machen wir nicht Schluß mit dieser Scheiße und bringen alle in unseren Augen bösen Menschen um." Ich würde es nicht mehr tun können. Ich weiß nicht warum ich es noch machen sollte. Es wäre eine große Ehre, wenn ich es vollenden dürfte, doch weiß ich nicht, ob ich überhaupt das Recht dazu haben will. Ich hatte auf jeden Fall noch nie das Gefühl, daß die Natur, das Leben, die Sonne oder für die verkackten Gottesanbeter ein heiliger Geist, zu mir gekommen wären und zu mir gesagt hätten: "Mario, du mußt die Erde retten!" Sie werden es von ganz alleine schaffen. Ich glaube nicht daran - ich weiß es.

 

25.11.1995

Diese Gesellschaft funktioniert wie geschmiert, denn ein jeder bekommt sein Fett weg. Der eine mehr, der andere weniger. Und andere wiederum bekommen das Lendenstück. Und die Masse bekommt nichts, in großen bunten Verpackungen.

 

Und all die Ehrenwerten


In weißen Lettern

In einem roten Kasten,

Ihr Name ist Symbol,

Halten sie doch täglich

Ihren Lesern

Das Spiegel - Ihr Name -

Ihrer Gesellschaft

Vor graue Augen,

Denn hinter diesen

Ist leerer Raum,

So können sie,

Was sie am besten können,

Die Enkel Münchhausens.

 

Alle vier Jahre

Kommen sie durch Demokratie,

Oder auch andere,

Doch was macht dies

Für einen Unterschied,

An das, nach dem es sie

Am meisten lüstert,

Um Lügen zu versprechen,

Tun sie es nicht,

So reden sie viel,

Viel zu viel,

Und haben doch am Ende

Nichts gesagt.

 

Sie lachen, strahlen

Bis die Funken sprühen,

Zeigen eine heile Welt,

Die es nicht gibt,

Philosophieren

Auf tatterig Alzheimerart

Über Probleme, die keine sind,

Erzählen Lebensgeschichten

entsprungen dem Wahn,

Sie seien sehr wichtig,

Was sie nicht merken,

Sie sind es nicht,

Wie ihre Macher.

 

Ihre Leistungen in Ehren,

Können sie doch Dinge

Viel besser als andere,

Ruhm und Achtung

Steht ihnen ohne Zweifel zu,

Doch der Lohn,

den sie empfangen,

Ist nicht zu hoch;

Er ist gar Ungerecht!

Denn im Vergleich

Mit den Kranken dieser Welt,

Sind ihre Leistungen so nichtig

Wie ein Mäusepups.

 

Ihre Sklaven schneiden

Mit stumpfen rostbefall`nen Messern

Das gold`ne Fleisch

Aus uns`rem Bauch,

kippen alle Gifte

Die sie haben,

Und doch nicht kennen,

Tausendfach hinein,

Nichtssager decken ihre Rücken,

Lügenmacher ätzen Hirne aus,

Falsche Helden mogeln Kultur,

Nichtige lenken vom Schmerze ab

Für Geld - ihrer Religion.

 

Liebes Tagebuch 2.12.1995

Ich verfalle immer noch dem Fehler, Sachen, die sich in meinem Kopf abspielen und für mich ganz logisch sind, bei anderen vorauszusetzen. Ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll. Wenn ich mich füge, laufe ich Gefahr, mich ganz langsam den Zwängen der Gesellschaft zu unterwerfen. Wenn ich mich weigere, bin ich mir sicher, daß ich von kaum jemanden verstanden werde. Ein anderes Problem ist meine Einstellung zur Gewalt. Ich verachte sie nach wie vor. Doch was ist, wenn es für Opfer keine andere Möglichkeit mehr gibt, als mit Gewalt ihrem Schicksal zu entrinnen? Es sind Fragen der Gerechtigkeit, die ich mir nicht anmaße zu beantworten. Sicher jeder hat ein Gerechtigkeitsgefühl, aber bei jedem Menschen funktioniert es anders. So kann der Mensch doch eine komplizierte Problematik nie als ein Ganzes auffassen, er wird immer irgendwelche Faktoren außen vor lassen. Sei es, weil er sie übersehen hat, oder weil er ihnen durch seine subjektive Betrachtungsweise keinerlei Bedeutung zukommen läßt. Schließlich kann kein Mensch, ohne Ausnahme, objektiv urteilen. Wenn er es könnte, wäre er kein Lebewesen.

 

Liebes Tagebuch 7.12.1995

Ich kann mir nicht vorstellen, daß es ein Segen für mich ist, daß ich das Leben begriffen und durchschaut habe. Denn das Schlimmste ist wohl alles verstanden zu haben, aber gleichzeitig zu wissen, daß man, wenn es einem falsch oder ungerecht erscheint, daran nichts ändern kann. Es bleibt alles wie es ist. Dieser Fakt läßt alles so nichtig, unnütz, überflüssig und sinnlos erscheinen. Vielleicht wußte ich es schon vor Jahren, doch wahr es mir nie bewußt. Aber nun kommt noch ein schwerwiegender Aspekt hinzu, welcher mir meine Augen geöffnet hat. Die schönen Dinge des Lebens, welche die schlechten so winzig werden ließen, sie werden immer weniger. Heute überschatten die schlechten Dinge die schönen so sehr, daß man sie nicht einmal mehr sehen kann, daß sie durch Lichtmangel eingehen müssen und für immer vom Erdboden verschwinden. Wenn ich Stress auf Arbeit habe, dann ist dies eine sinnlose Belastung, die nicht sein müßte, aber abstellen läßt sie sich auch nicht. Wenn ich sie als Belastung nicht annehmen würde wäre es in Ordnung. Doch wer kann das schon?! Ich nicht. Ich kann nicht gelassen bleiben, wenn man ungerechtfertigt Kritik an mir übt. Es bedrückt mich, wenn man mich verbal beleidigt, und das nur aus dem Grund, weil der über mir ein persönliches Problem hat, welches er nicht lösen kann. Den entstehenden Druck in seinem Kopf an mir ausläßt und der Meinung ist, dies müsse so sein, weil es immer so war. Das ist nicht in Ordnung. Ein vermeintlich schwächerer Mensch ist doch nicht der private Fußabtreter eines Stärkeren. Dies kann ich auch nicht als Lebensironie betrachten, da es viel zu ernst ist und viel zu oft vorkommt, und es ist auch nicht das natürliche Gesetz des Stärkeren, weil durch die menschliche Evolution und der daraus resultierenden kulturellen Entwicklung sich schon lange nicht mehr die "stärksten" Individuen durchsetzten. Ein geistig gestörter, gebrechlicher Prinz wird zum Oberhaupt aus "Geburts-(un)recht" eines Staates ernannt. Das ist doch nicht natürlich. Bilden, im Luxus leben, den Stammbaum sichern können doch nur die, die Geld haben, unabhängig von ihren Fähigkeiten. Und keiner stößt sie von ihren Rössern. Sie wären nicht einmal in der Lage von alleine wieder auf ihre Füße zu kommen, denn sie haben nie gelernt auf ihnen zu stehen.

 

Liebes Tagebuch 14.12.1995

Robert Crumb hat in meinen Augen die Wahrheit auf den Kopf getroffen, in dem, was er über die "Sei wie du bist!"-Scheisse gesagt hat. "Wenn ich so bin wie ich wirklich bin, ecke ich überall an, werde nicht oder falsch verstanden, für verrückt erklärt, und jeder würde sagen, ich sei ein Idiot." Und er lebt und gibt sich trotzdem so wie er ist. Und irgendwann werden ein paar Menschen sagen, ja er hatte recht mit dem was er so gesagt und getan hat, mir geht es genauso und ich habe es nie herausgelassen, immer nur unterdrückt. Nicht alle, aber viele.

 

Liebes Tagebuch 22.12.1995

Ich merke, wie ich aus meinen Fehlern lerne. Ich sehe förmlich, wie ich lerne, und das schönste an der Sache ist, daß ich es bewußt wahrnehme. Es passiert nicht einfach so. Nein, ich lebe jeden Augenblick, was kommen wird, ist mir schnuppe, nehme es wie es kommt, akzeptiere es, wenn ich es hinnehmen kann. Es kommt mir nicht mehr darauf an, von anderen verstanden zu werden, das ist sinnlos. Mein Ding einfach durchzuziehen, bis ich die Nase voll von der ganzen Scheiße habe.

 

Liebes Tagebuch 28.12.1995

Als kleiner Junge hatte ich wahnsinnige Angst vor dem Tod. Ich versuchte mir vorzustellen, wie es wäre, wenn man tot sein würde. Ich sah mich, wie ich in ein schwarzes Loch falle, dabei langsam im Kreis drehe. Wie würde es sein, wenn man drei Tage ohne Unterbrechung fallen würde? Ich versuchte es mir auszumalen. Drei Tage sind im Leben eines Kindes eine lange Zeit. Und mit Mühe gelang es mir. Doch wie lange dauert eine Ewigkeit? Wie lange würde man da fallen? Ich versuchte mir auch diese Zeitspanne vorzustellen. Und ich steigerte mich in immer größer werdende Ängste. Ich würde ganz alleine sein. Bis ich leise zu weinen und zu murmeln begann: "Ich will nicht sterben! Ich darf nicht sterben!" Immer im Wechsel. Viele Nächte verbrachte ich so in meine Ängste eingeschnürt. Doch jetzt? Nun steh` ich auf der anderen Seite des Spiegels, hinter ihm. Das Loch hat nichts an Mysterien eingebüßt, es ist immer noch dunkel und geheimnisvoll. Doch es macht mir keine Angst mehr, im Gegensatz zum Leben.

 

Liebes Tagebuch 3.1.1996

Jeder ist seines Glückes Schmied. Das mag wohl stimmen, doch das Werkzeug und das Material kommt von anderen. Die Gesellschaft gibt dir deine Arbeitsschritte, die Abläufe, die Zeit, einfach alles vor. Wenn jeder seines Glückes Schmied wär`, dann wäre die Welt nur von reichen und zufriedenen Menschen erfüllt. Dieses Sprichwort kann also nur von den Reichen, den Sorglosen stammen. Wären sie arm, würden sie es nicht behaupten, denn sie würden spüren, wie sehr es gelogen, geheuchelt von der Gesellschaft ist. Wer erst einmal am Boden liegt, hat doch so gut wie keine Chance aus eigener Kraft wieder auf die Beine zu kommen. Auch wenn hin und wieder von oben betrachtet der Eindruck entsteht, daß es ein Niemand vom Tellerwäscher zum Millionären bringt, entpuppt sich das Einzelschicksal als ein Durchhaltetrost, das von den Schmarotzern inszeniert wurde. Aber die reichen Sozialamtszöglinge, wissen ja nicht, was es heißt, richtig zu arbeiten, um neun Uhr auf Arbeit zu sein und literweise Kaffee trinken zu müssen. Jeder muß doch sehen wo er bleibt? Ich habe Angst, wenn ich mir die Menschen ansehe. In jedem Gesicht lese ich Kälte, Furcht oder Haß. Rücksicht und Mitgefühl wurden aus der Fülle der menschlichen Eigenschaften ausradiert. Die guten Eigenschaften haben die Menschen irgendwann vergessen der nächsten Generation mitzugeben. Für Missstände in ihrem Leben machen Menschen noch Schwächere verantwortlich. Denn es ist einfacher dem zu glauben, was man gesagt bekommt, als sich selbst einen Kopf zu machen. Selbst wenn das Vorgekaute absurd erscheint, aber lieber eine leichtverdauliche Lüge, als eine schwerverstehbare Tatsache, die eh keiner begreift - niemand begreifen will. Weil zum Begreifen das selbständige Denken vorausgesetzt wird. Und wer kann denn noch heute freihändig denken, in dieser Zeit, wo alles manipuliert wird? So will ich im Wasser, im Meer leben und die falsche Welt der Menschen verlassen. Wenn ich in der Wanne liege und meine Augen schließe gelingt mir meine Flucht für eine kurze Dauer. Doch will ich kein Fisch sein, ich bin ein Mensch. Aber frag` ich mich, ob die and`ren Menschen wirklich Menschen sind. Im Krankenhaus ist ein schlimmes Klima, wenn ich etwas verändern will, weil es mir überflüssig vorkommt, bekomme ich von allen Seiten nichts als Unverständnis präsentiert. Wie sollen sie auch. Sie wollen die Welt nicht verändern, sie nehmen sie wie sie ist und versuchen in den vorgegebenen Regeln ihr Schäfchen ins Trockene zu bringen. Denn sie haben nichts begriffen, sie gehören in die Gesellschaft, wie die Korruption in die Politik, denn keiner will Veränderung. Die Massenmanipulation funktioniert durch Massenhypnose in jeder Form. Alles ist so perfekt durchorganisiert, daß es unmöglich scheint den Fluch zu bannen.

 

4.1.1996

Menschenwerk

Pflüge reißen Male in das Erdenfleisch,

Sägen metzeln Wälder nieder,

Der Menschheit ist die Zukunft gleich,

Stollen schieben sich in`s Mark,

Langsam sinken ihre Lider,

Deckel zu von ihrem Sarg.

 

Flüsse dürfen sich nicht winden,

Sümpfe werden Trockenland,

Der Menschenwillkür täglich schinden,

Leben ist nicht lebenswert,

Menschen schaffen den Gestank,

Um Horensgut sich niemand schert.

 

Im Tartaros liegt Vernunft verbannt,

Astraia hat sich den Menschen abgewannt.

 

Liebes Tagebuch 11.1.1996

Oh, du mir so heiliges Wissen, wohin hast du mich nur getrieben?! So strebte ich nach Erkenntnis, nun, wo ich glaube sie zu haben, muß ich vor der Sinnlosigkeit resignieren! Und hab` den Glauben an den Menschenverstand für immer nun verloren. Die Gesellschaft, sie frißt mich auf. Noch nie kam sie mir so kalt, so leblos, oberflächlich vor. Ich möchte sie verändern, mit Leben neu erfüllen, gerechter machen, sie zurück an ihre Quelle, der Natürlichkeit, geleiten. Doch weiß ich, die Menschen sind noch nicht so weit. Sie würden glauben ich sei verrückt, wenn ich sie auf Knien flehen würd`, ihre Augen aufzusperren, um dem Unrecht, welches wir uns selbst antun, ein Ende JETZT! zu setzen. Die Gewißheit, die ich hab`, daß wir Menschen, über kurz oder lang, die Erde unbewohnbar machen werden. Doch will und kann ich mich mit dieser Tatsache - wider besseren Wissens - nicht abfinden! Warum ist es mir nicht egal? Warum genieß` ich nicht mein verfluchtes Leben, wie all die and`ren Erdschmarotzer? Es kann dir doch egal sein, wenn das Ende dieser Welt noch in der nahen Ferne liegt, die du nicht sehen wirst. Weil ich mich nicht gleichgültig stellen und so tun kann, als würd` ich nicht um unser Schicksal wissen. Die Masse, so hart es auch für Menschen klingen mag, sie ist dumm und weiß es nicht. Sie weiß auch nichts von unserem Schicksalsschlag, der uns ereilen wird, weil sie ihr Leben aus vollem Horne trinken, weil die ärmsten der Armen mit blinder Hoffnung den unerreichbaren Reichtum jagen, oder weil sie in ihrem Lebensalltag keine Zeit, sich mit diesen Gefahren, die uns bedrohen, auseinandersetzen zu können, haben. Um nicht gänzlich in meinem Wahn, voll Leid, zu enden, so müßt` ich mit einem Schlag des Denkens nicht mehr fähig sein. Wie von einem tiefen Schwarzenloch angesaugt komm ich, aus eig`ner Kraft, nicht mehr davon los. So bleibt mir nur der Schleudersitz, der mich noch befreien kann, aus meiner Zelle. Denn freilich ist es leichter ein qualvoll Leben zu ertragen, als ein selbstgesetztes Ende zu erlangen. Doch merk` ich, daß die Qualen größer als mein Lebenswille, werden. Wie ein Tier, das in Freiheit geboren, großgeworden, die Gitter seines Kerkers von Menschenhand, nur durch den Tod durchbrechen kann, indem es seine Nahrung nicht berührt. Weiß ich, als ich noch klein und ungebildet war, die Probleme dieser Welt mich noch nicht berührten und nicht erdrückten, daß ich gefangen in meinem Wissen bin, die Welt, so schlecht sie ist, nicht ignorieren kann, all das Unrecht, was dem Recht unendlich überlegen ist, in jeder Form, doch leider auch nichts vermag zu ändern, so sehr mein Herz es auch begehrt. Ich kann es nicht ertragen! So werd` ich mein Futter irgendwann verweigern, wie die freien Tiere in Gefangenschaft, um der Freiheit Willen.

 

16.1.1996

Wie sich die Forscher ihrer Verantwortung entziehen. "Wir forschen nur, was die Gesellschaft damit anfängt, ist nicht unsere Sachen, und über ethische Fragen müssen sich doch die Philosophen den Kopf zerbrechen und nicht wir." So gibt es solche und auch solche Forscher. Die einen wissen, was sie erforschen und kennen deren Gefahren und forschen dennoch weiter. Die anderen wissen nicht, was sie genau erforschen und kennen somit auch nicht deren Gefahren, doch auch sie forschen immer weiter. Und in beiden Lagern gibt es zwei Gründe für deren Forschung. Sind die einen hinter Wissen, Weisheit und Erkenntnis, um des Wissens Willen, her, verfolgen die and`ren dies aus Verlangen nach Macht, Ruhm und Gier. Gäbe es nicht das Böse tief im Menschen, wäre jedes Forschen nach dem kleinsten Wissen so unendlich gut, doch das Böse ist nicht zu fassen, oder gar zu vernichten, so ist es besser, daß wir Menschen nicht alles verstehen dürfen. Haben wir doch noch nicht einmal gelernt mit dem Wissen, das wir haben, richtig umzugehen. Und dann gibt es da noch die Wissenschaftler, die da glauben, daß ihre erbärmliche Schlauheit im Einklang mit der Vernunft Hand in Hand dahin marschiert. So glaubten Hahn und Strassmann an die vernünft`ge Nutzung der Atomspaltung, denn ich kann nicht glauben, daß sie diese um der Zerstörung Willen entdecken wollten. Daß die Vernunft in den Atombomben wohnen solle, halte ich für einen schweren Irrtum. Und schon machen wir uns auf den Weg, die Gene zu erforschen, ohne daß wir die Folgen, die deren Veränderung zur Folge hätte, auch nur erahnen können. Kann doch niemand weissagen, welche Auswirkungen es auf das große Ökosystem Erde haben wird, wenn wir das Wachstumsgen einer Fliege verändern. Sie spielen nicht und sie arbeiten nicht mit dem Feuer, sie beten es an und kennen nicht deren unstillbaren Appetit. Ich hoffe, daß sie sich nicht nur leicht verbrennen, sondern, daß sie in den Flammen ihr wohlverdientes Ende finden.

 

Vom Wissen, das sie nicht wußten

Als sie begannen

Gott zu fangen,

In seine Rolle

hinein zu schlüpfen,

Fremdes miteinander zu verknüpfen,

Damit es ihnen dienen solle,

Zweifel verbannten,

Es Fortschritt nannten,

Erfolg unendlich groß,

Allmacht gewonnen,

Den Schlüssel bekommen

Und ließen ihn nicht mehr los,

Folgen nicht kannten,

Es weiter anwandten,

Die Kontrolle verloren,

Sie könnten es wenden

Mit ihren Händen,

So glaubten die Toren,

In Hoffnung verrannten,

Helden entsandten

Zur Rettung des Lebens,

Doch all ihr Ringen

Nach rettenden Dingen,

Es war alles vergebens,

 

Sie dachten nicht nach,

Sie wurden nicht wach,

Da kamen die Reiter

Und ihr Sein ging nicht weiter.

 

Liebes Tagebuch 10.2.1996

Mit immer größ`rem Haß betracht` ich die Zivilisation mit samt dem Reichtum. Die Selbstverständlichkeit, mit der wir den Luxus nicht mehr spüren können, sind wir mit ihm doch großgeworden. Hunger und Elend sind uns fremd. Sicher Herren und Knechte gab es schon immer, doch heißt dies doch nicht, daß es für immer so bleiben muß. Denn es ist und bleibt ein Unrecht. Den Reichtum und den Luxus, wie wir ihn haben, wird morgen schon das Fallbeil auf uns`rer Guillotine sein. Wollten wir es nicht so weit kommen lassen, dann müßten wir den Weg auf dem wir geh`n sofort verlassen! Atomkraft bis Religionen müßten abgeschafft, nicht morgen erst - Jetzt! sag` ich. Sonne, Wind, Wasserstoff von Bakterien erzeugt lösen Kohle, Öl und Gase ab. Nahrungsmittel dürften nur dort verbraucht, wo sie auch angebaut werden und nicht erst um die Erde reisen. Kleine Tierzucht und auch Pflanzenanbau, nie mehr Massenproduktion mit all den Masseninfektionen. Riesen Industrien müssen in viele kleine Betriebe übergeh`n. Politiker müßten alle samt an Lügendetektoren angeschlossen werden und im Fall des Betruges ihrer Macht enthoben. Weil es keinen Reichtum gibt, Bestechung nicht mehr siegt. Die Forschung dient allein dem Wissen und der Sicherung der Existenz, und nicht dem Profit. Krankheiten werden mit natürlichen Heilungsmethoden ohne Chemie bekämpft, reichen sie nicht, so ist es ein Recht der Natur auszuwählen, wer sich darf weiter vermehren. Einst schrak ich vor diesem Gedanken bleich zurück, doch nun weiß ich, dies ist der einzig richt`ge Schritt. Doch es ist nur Utopie, der Mensch ist dumm, ein Umdenken, das schafft er nie. Hin und her gerissen fühl` ich mich von uns`rem Handeln, das nur Zufriedenheit im Angesicht uns`rem Untergang ruft in mir hervor. Und dem Wunsch jeden einzel`n Menschen wach zu rütteln, ihnen die Idee von mir, die bestimmt nicht falsch ist, die nicht falsch sein darf, ganz nah an ihr Herz zu legen, sie davon zu überzeugen. Es muß doch irgendwo in diesem Höllenzug ein roter Griff zum Halten verborgen sein. Oder ist es schon der Glockenklang in meinem Ohr? So ist es besser, daß ich meinen Platz auf dieser Welt für den nächsten Menschen räume, der wie ich, in heilen Welten leben will, leider sind es doch nur Träume. Das Erwachen, täglich neu, ist von Schmerzen tief gefurcht, drum besser wär`s, wenn der Traum endlos ginge.

 

Liebes Tagebuch 18.2.1996

Warum ist es mir nicht möglich einen Ausweg zu finden? Als ich noch klein war, hatte ich noch die Hoffnung, daß durch einen Zauberer alles gut werden könnte. Heute weiß ich, daß die Realität keine Zauberer zuläßt. Schade, es würde der Erde ein guter Zauberer mehr als nur weiter helfen. Vielleicht würde aber auch nur alles Schlechte weiter herausgezögert werden. Die Welt der Marionetten wird weiterhin von ein paar wenigen, den Skrupellosesten, kontrolliert. Es wird Zeit, daß diese Teufel langsam ihre Köpfe verlieren. Aber wer kümmert sich dann um die Marionetten? Sie haben ja nie zu leben gelernt. Es scheint eine ausweglose Situation eingetreten zu sein, wie auch in meinem Geist.

 

18.2.1996

Orpheus Entsetzen

So sehr ich Dich

Zu lieben noch vermag,

Und Du, mit noch

Viel gröss`rer Liebe,

Zu mir herab

Gestiegen bist.

So ist `s mein Wunsch,

Ich bitte Dich,

Verzeihe mir!

So laß mich

Dennoch hier!

Der Hades ist

Kein schlimmer Ort,

Als jener dort,

Zu dem Du mich

Zu schaffen denkst.

Wieso soll ich,

Als lebend Mensch,

Wie eine Tote

Weilen?!

Nein, da will ich,

Hier als Tote,

Wie eine Lebende,

Für immer glücklich,

Bleiben.

Erspart bleibt mir,

Das all zu schlechte

Trauerspiel.

Da oben gibt `s

Von den bösen

Polymestoren

Viel zu viel.

 

 

Liebes Tagebuch 19.2.1996

Die Menschen lassen sich nicht ändern und das zerfetzt mein Hirn. Das Leben, als ein einziges Verbringen im Folterkerker, mitten unter ihnen, umgeben von modernden Lügnern und gärenden Mördern. Nicht einmal Clara vermag mich mehr von den Freuden des Lebens zu überzeugen, weil sie selbst nicht mehr daran glaubt, denn viel zu gut wissen wir doch, daß es sie nicht mehr gibt. Mein Haß wird immer größer gegen alle Menschen, aber vor allem gegen mich, weil ich nicht in der Lage bin etwas zu ändern. Alle sind vom Reichtum so verhext, daß sie nicht merken, daß es schon längst zu spät ist. Meine Augen sollen glühen! Soll ich weiter das Unrecht und Elend mit anseh`n? Meine Ohren sollen platzen! Gibt es denn nichts als Lügen auf der Welt? Meine Haut soll verbrennen! Fühlt denn niemand diese Kälte? Meine Nase soll verbluten! Ist die Luft nicht längst verwest? Meine Zunge soll verätzen! Schmeckt das Leben nicht nach Blut? Ich kenne keinen Grund, für den`s zu leben jetzt noch lohnt.

 

Liebes Tagebuch 20.2.1996

Ich kann mein Leben nicht einen Tag länger mehr ertragen. Tausend neue Höllenqualen muß ich an meinem Körper neu erfahren und ertragen. Mich erdrücken diese Lasten, das Sein als solches. Nein keinen Tag will ich mehr leben müssen. Clara ich fleh` dich an - Vergib mir!!! Doch ich weiß, daß du mich verstehst, teilst du doch das gleiche Leid. Und wer weiß, wie lange die Qualen deines Fühlens in deinem Herzen brennen werden. Ich brauch` dir nicht zu sagen, wie sehr ich dich vom ganzen Herzen liebe. Man kann sagen: bis in den Tot. Lang hab` ich überlegt, wie mach ich Schluß? Was liegt da näher als die Waffe zu verwenden, die heute am häufigsten, nicht durch Krankheit, zum Tode führt. Mit Hundert gegen einen Baum. Habe ich nicht oft genug sehen müssen, wie Menschen-Mus durch einen Autocrash entstand? Ich seh’ es förmlich vor mir laufen, wie ein Film. Ich kann es nicht erwarten, diese verhaßte Totenwelt zu verlassen, um auf einer anderen, die schöner und gerechter ist, wieder zu erwachen.

 

 

Ray Helming, Februar - Mai 1997

 

 

 

Auswahl

 

letzte Bearbeitung: 29.01.2012 Literatur Dramen Kontakt: Ray Helming